„Goldroger“ hat aktuell viel zu erzählen. Das fällt nicht nur auf, wenn man sich seinen beiden Releases „Diskman Antishock 1+2“ anhört, sondern auch bei unserem Interview, dass wir im Sommer dieses Jahr online führten. Dieses extrem spannende und aufschlussreiche Gespräch wollen wir euch natürlich nicht vorenthalten. Deswegen folgt hier Teil 2 des XXL-Interviews. Im zweiten Teil erfahrt ihr mehr über die Messages der Songs, den psychischen struggle des Artist und warum er Musik als Therapie nicht empfehlen kann.
Triggerwarnung: In diesem Teil des Interviews geht es viel um psychische Probleme und Belastung.
Reflex: Du hast gerade auch nochmal gesagt, dass du durch dein aktuelles Umfeld, durch dein Leben, dazu kamst einen Song zu machen, der gut zur Zeile gepasst hat. Wir haben 2017 mal darüber geredet, dass ich gesagt habe, ich finde das ist ein bisschen als würdest du dich in eine musikalische Therapie begeben. Du hast gesagt du siehst diesen Begriff jetzt nicht so, es wäre jetzt nichts was du benutzen würdest. Als ich „Diskman Antishock“ gehört habe hatte ich aber wieder dieses krasse Gefühl, dass es sich hierbei doch um eine musikalische Therapie handelt. Hat sich die Sichtweise da seitdem geändert?
Goldroger: Nee man. Für mich ist das eher wie so ein Tagebuch. Ich finde auch an dem Beispiel mit „Wie leicht“ ist es für mich tatsächlich eher komisch. Weil in dem Song geht es ja auch darum so eine Wunde und so ein Gefühl offen zu halten. Und das ist ja der Punkt. Bis der Song raus ist bin ich ja immer noch damit beschäftigt und ich glaube das Beste ist, irgendwann auch mal Sachen ziehen zu lassen und Vergangenheit Vergangenheit sein zu lassen. Und ich finde, wenn so ein Song noch unreleased da liegt oder man daran arbeitet, dann holt man sich das ja immer wieder vor Augen zurück. Ich habe irgendwann mal zu Hendrik von Dienst & Schulter diesen Satz gesagt: Ich glaube ich bin dieser Typ auf dem Album. Und ich fands erschreckend, weil ich habe auf „Diskman“ diese Musik gehört und dachte so: Yo, das ist frustrierend. Ich bin dieser Typ, der die ganze Zeit diese traurigen Sachen rappt. Und ich weiß nicht ob man damit auch in die Realität spricht. Das ist ja wie so Motivationaltalk. Wenn das hilft, dieses Positivdenken, besser klar zu kommen, dann mach ich es ja immer noch schlimmer indem ich mir ständig selber einrede: Ich bin dieser Typ aus „Speedball Drive“. Ich bin dieser Typ aus „Potion“. Und ich habe schon Angst, dass ich damit dieses negative Selsbtimage bei mir festsetzte. Aus therapeutischer Perspektive würde ich auf jeden Fall davon abraten. Es hilft mir aber mit Abstand, vielleicht in 5 Jahren oder so, auf Sachen zurückzublicken und dann ist es eher wie ein Tagebuch. Weil ich dann denken kann, dass es krass ist, an was für einem Punkt ich vor 5 Jahren war und jetzt kann ich damit gar nicht mehr connecten. Das ist dann irgendwie ein schönes Testament, was man für einen Fortschritt als Person gemacht hat.
Das Problem ist wahrscheinlich auch, dass diese Vergangenheit, die du ja aufscheuchst beim Schreibprozess, nicht weg ist, wenn du den Track released hast, weil du den ja auch live performst. Du machst ja also wieder dieses Fass auf. Oder geht das, dass du dann live in deiner Zone bist?
Nee, also ja. Denn genau das ist auch so ein Problem. Ich habe irgendwann auch bei mir selber gemerkt, dass ich zum Beispiel „Perwoll“ so total abgeklärt performe und mich dann so gefragt: Boah war das gut heute? In der Folge habe ich dann angefangen, wenn ich „Perwoll“ spiele, mich selber an etwas zu erinnern was mich verletzt, um mich mit dem Gefühl zu connecten und das authentisch zu performen (grinst). Und das, weil ich dachte, das ist doch völlig unangemessen, wenn ich bei einem Track die ganze Zeit lache oder so. Ich muss ja auch betroffen aussehen, um das irgendwie zu fühlen und gut rüberzubringen für die Leute. Und dann dachte ich auch so: Hmm, das ist ja echt scheiße. Weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht wie lang das möglich ist. Ich mache Gott sei Dank ja nicht so kiddiemäßig traurige Mucke. Ich mache oft ja schon traurige Mucke, aber ich mache jetzt nicht so was und hoffe auch, dass das nicht so rüberkommt. So kiddiemäßige traurige Mucke, wo ich mir auch vorstellen kann, dass ich so in 5-6 Jahren vielleicht denke: Jaaa, schon einfach hängen geblieben. Ich will damit gar nicht mehr connecten. Ich kann das aus meiner Perspektive irgendwie gar nicht mehr ernst nehmen. Gibt es bestimmt auch Künstler, die dann daran scheitern. Ich will jetzt keine Namen nennen. Aber ja, du hast Recht. Man kann damit nicht wirklich abschließen. Spätestens wenn wir „Horcrux“ performen, muss ich jedes Mal wieder da durch. Und das ist so einer dieser Momente, da finde ich das super ätzend und bereue, dass ich das gemacht habe. Ich muss mir das immer wieder vor Augen führen, dass ich ein Idiot bin und das ist nicht so geil (lacht).
Also wie gesagt ich würde keinem empfehlen Musik zur Therapie zu machen.
Das klingt auch wirklich heftig. Alles was das du gesagt hast. Ich meine das sind viele verschiedene Facetten, die da irgendwie zusammentreffen. Zum einen einen Selbstzerstörungstrieb, zum anderen so ein: Ich will mich vielleicht irgendwie verändern, aber wenn ich mich jetzt so verändere passt das dann noch? So viele Facetten die da irgendwie den Kopf ficken können.
Ich glaube auch. Aber das hat mir jetzt auf jeden Fall eine gute Idee gegeben. Tatsächlich sollte ich mir beim nächsten Album vielleicht selbst so eine Geschichte aus dem Loch schreiben und das wird dann so self fullfilling prophecy (grinst). Und das kann ich dann immer, wenn es mir schlecht geht, rappen und dann geht es mir wieder besser. Aber ja du bist im Zweifelsfall dann schuld, dass ich dann bald so „Kontra K“ mäßige Selfmotivational Mucke mache. Aber ist okay. Könnte ich eigentlich auch mit leben. Wäre ganz geil (grinst). Wäre eine schöne Geschichte von dem depressiven Typen hin zum Startup Millionär (alle lachen).
Ich meine, wenn es dir dadurch auf der Bühne besser geht ist das doch schon mal ein Anfang. Dann bin ich gerne dafür verantwortlich.
Mache ich auf jeden Fall. Geil! Ich schreib dich dann in die Credits (lachen).
Bleiben wir doch kurz mal noch bei „Horcrux“. Du sagst da, diese eine Passage, diese eine Line, die ich ziemlich krass finde und die auch oft zitiert wurde: „Es ist verrückt wie dem einen etwas die Welt bedeuten kann, was für einen anderen nichts weiter als nur ein Lied ist“. Wir hatten es gerade so schön davon, dass es ein negatives Klima bei deinen Songs gibt. Trotzdem kann es sein, beziehungsweise ich bin mir ziemlich sicher, dass es viele Menschen gibt, die deine Mucke hören und denen das die Welt bedeutet. Wenn die jetzt auf dich zukommen und sagen, deine Musik hat mein Leben verändert, die hat mich aus einem Loch geholt, kannst du das dann nachvollziehen aus dem Standpunkt?
Ja schon, aber Leute machen das auch auf so ne… Das ist manchmal sehr schwierig. Das hat so eine Tendenz, dass mir Leute ohne Filter am Merchstand auf einmal davon erzählen, dass die Mucke für sie etwas wichtiges in einer super schwierigen Zeit war. Und das sagen sie mir original in dem einen Moment, wo ich mal total euphorisch von der Bühne komme und es mir blendend geht. Und in dem Moment kann ich damit überhaupt nicht connecten. Aber will dann auch kein Arschloch sein und muss mir dann selbst innerlich auf die Fresse hauen und das so ganz nah an mich ranlassen, was mich dann auch jedes Mal wieder ein bisschen ins Loch zieht. Aber ne, freut mich voll, wenn Leute auf so einer wichtigen Ebene mit Musik connecten können. Mit meiner Musik. Weil das ist das was ich mir immer gewünscht habe. Das meine Musik andere Leute genauso berühren kann, wie mich Musik von anderen Leuten berührt hat, und sie nicht nur so eine Hintergrundbeschallung ist. Und das ist schon geil. Es ist nur wie schon gesagt manchmal sehr schwierig. Die Momente, wo es mir zugetragen wird, das sind meist die unpassendsten Momente um damit zu connecten. Leider. Aber es sind auch die einzigen Momente, wo ich Leute mal sehe. Am Merch dann.
Aber es wäre doch auch komisch, wenn dich jemand dann im Supermarkt erkennt und sagt Hey …
Ich schwöre dann könnt ich es. Meist gehe ich ja selber mit so tragischen Gedanken durch den Supermarkt. Da könnte ich dann vielleicht besser connecten als nach einer Show (grinst).
Nach einer Show bin ich wirklich einfach nur voll auf Adrenalin und das ist manchmal dann schon voll der Schock. Vor allem mach ich mir dann auch oft Sorgen. Dann sind das so kleine Mädchen oder so. Manchmal steht dann so ein 18-jähriges Mädchen vor einem und sagt dann echt schlimme Sachen. Was sie für Gedanken hatte und da denke ich mir dann auch so: Wow, wie reagiert man darauf jetzt angemessen? – Voll schade, hey guck, dass du darein nicht abgleitest?!
Ich hoffe meine Musik ist da eher so… Und das ist tatsächlich auch so ein Punkt. Ich habe „Bomberman“ fast als letzten Song gemacht. Weil ich irgendwie auch dachte und zu viel Angst hatte, dass durch „Potion“ und „Speedball Drive“ das Ganze zu depressiv sein könnte und Drogen nehmen glorifiziert. Und ich wollte noch irgendeinen Song machen, der auch klar stellt, dass ich da selber auch mit unzufrieden bin und raus will. Ich hoffe eher, dass die Leute damit connecten können.
Ich weiß ja du magst zu Beispiel ja auch Kendrick Lamar. Ich weiß nicht ob du dieses Video kennst? Ich weiß gerade nicht welcher Auftritt. Da spielt er „A.D.H.D.“ live auf der Bühne und im Publikum ist ein junges Mädchen. Und er merkt da ist irgendwas, der Song trifft sie und er holt sie auf die Bühne. Und sie sagt „You saved my life“. Und er dann irgendwie so „No, you saved my life“. Das ist ja schon irgendwie eine schöne Connection. Ich weiß nicht, geht es dir auch irgendwann mal so, dass du auf der Bühne merkst: Oh hey, der Person habe ich vielleicht was Gutes mit dem Song getan?
Auf jeden. Auch die Leute, die dann nach der Show kommen. Ich will das auch gar nicht schlecht reden so. Das ist auch immer krass. In den Momenten bei Shows, nach Shows, wird’s für mich immer total real. Dass das gerade passiert, dass das wirklich so ist. Deswegen ist das aktuell auch so traurig, dass aufgrund von Corona keine Shows stattfinden können. Und ne, ich bin damit super, super happy. Ich merke das dann regelmäßig.
„Bomberman“ haben wir gerade schon angesprochen. Für das Interview habe ich auch nochmal zu „Bomberman“ recherchiert, nochmal alle Lyrics gelesen und beispielweise bei Genius geschaut und Bedeutungen nachgelesen. Dort waren natürlich die Lyrics, so wie ich sie schon kannte, von dem Song, aber dazu waren noch Erklärungen von jemanden. Um was es geht in dem Song, mit dem Drogenkonsum und so weiter und so fort. Und ich muss auch ehrlich sagen, dass ich selbst jetzt auch nicht wirklich so Kontakt mit Drogen hatte und ich das nicht wirklich verstanden habe. Also was heißt nicht verstanden. Ich habe, als ich das so gehört habe, nicht gerafft um was es geht, im Sinne das ich eine andere Sichtweise auf den Song hatte. Ich dachte, dass es nicht nur um Drogenkonsum geht, sondern dieses wie „Bomberman“ das Hochgehen, also dieses Hoch, dass man durch Drogen hat, habe ich so gesehen, als dass man eben dieses Drama im normalen Leben will und konnte mich damit identifizieren.
Vielleicht ist das auch falsch was da auf Genius steht. Ich guck parallel nochmal (lachen). Aber ja hey, stelle die Frage sorry.
Alles gut. Du kannst nebenbei schauen.
Während du den Song schreibst guckst du, dass die offener bleiben? Dass man da verschiedene Herangehensweisen hat? Auch für die Wortspiele, dass man die in verschiedene Richtungen interpretieren kann, oder bedenkst du das gar nicht beim Schreibprozess?
Ne, doch, tatsächlich finde ich das bei Rap auch immer super schade. Rap hat so viel Text und hat meisten dann im Vergleich zu Musik, die so gesungen ist und weniger Text hat, so ein sehr eng gefasstes Korsett. Weil man so viel sagen muss, konkretisiert man den Punkt immer weiter und um einen Punkt wage zu halten, ist es natürlich besser weniger Text zu haben. Deshalb versuche ich manchmal schon so ein bisschen bei zentralen Metaphern, das so ein bisschen offen zu halten. Meistens meine ich selber mehrere Sachen damit und ich finde es auch gut, wenn Leute ihren eigenen Zugang zu dem Song finden können.
Aber was steht hier denn jetzt bei „Bomberman“?
(liest es sich durch)
Also das ist beides tatsächlich richtig. Ich meine bei diesem: „ich bin wie Bomberman, ich hoff nur das es knallt“, meint es tatsächlich auch das mit den Drogen, aber auch, dass ich irgendwie so einen Drang nach Drama und Zerstörung habe. Falls du das meintest. Das ist auch so ein gutes Beispiel dafür, wo es auch ambivalent gemeint ist. Also es ist tatsächlich jetzt nicht so, dass das Drogending bei mir das Zentrale ist. Es ist ein Teil des Problems, aber das stemmt sich ja auch aus irgendwas und ist wahrscheinlich auch nur eine Sucht nach Selbstzerstörung. So würde das jetzt irgendein Psychotherapeut sagen (lacht). Deshalb nö, so eng meinte ich das gar nicht.
Das Interview führte Nico Hilscher
Weiterführende Informationen zum aktuellen und kommenden Releases, sowie die Möglichkeit das Album oder Tourtickets zu erwerben, findet ihr auf den Social Media Kanälen von „Goldroger“ (Facebook und Instagram) und Landstreicher Booking.