Von der Serie Tote Mädchen lügen nicht, oder im Englischen Thirteen Reasons Why, ist seit dem 18. Mai die zweite Staffel auf Netflix verfügbar. Während die erste Staffel sich noch nach der Buchvorlage von Jay Asher richtete, steht die Fortsetzung bereits auf eigenen Beinen.
Schon die erste Staffel löste sich in vielen Punkten und vor allem in der Aufmachung und Beschreibung der Situationen und Charaktere stark vom Original. Durch das offene Ende, das genau zu diesen Punkten zählt, war Fans schon direkt nach dem Bingewatchen klar, dass es nach dem erfolgreichen Serienbeginn eine zweite Staffel geben würde, die keinen Roman mehr zur Vorlage hat.
Die Fortsetzung macht da weiter, wo die erste Staffel aufgehört hat. Doch hier liegt der Fokus nicht mehr so stark auf Hannahs Tapes, sondern beschäftigt sich mehr mit der Gegenwart, indem sie genauer auf die Reaktionen der anderen Figuren eingeht und Hannahs Geschichte aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Dabei lässt man es sich aber nicht nehmen, in Rückblicken immer wieder Hannahs Vergangenheit aufzuarbeiten, wobei der Zuschauer feststellen muss, dass tote Mädchen manchmal vielleicht doch lügen. Oder zumindest Dinge auslassen.
Diesmal steht der Prozess zwischen Hannahs Eltern, die die Schule für ihren Tod verantwortlich machen, und Liberty High selbst, der in der ersten Staffel bereits angerissen wurde, im Mittelpunkt. Wie zuvor durch die Tapes gliedert sich die Serie wieder in dreizehn Folgen, die durch die Aussagen unterschiedlicher Schüler an den verschiedenen Tagen vor Gericht getrennt werden.
Hier schafft es die Serie von Produzent Joseph Incaprera und Mitproduzentin Selena Gomez, den bisher bekannten Figuren um Clay mehr Tiefe und Hintergrund zu verleihen und die wenigen neuen Charaktere zugleich problemlos zu integrieren. Dies wird durch die überragenden Schauspielleistungen von Dylan Minnette (Clay Jensen), Alisha Boe (Jessica Davis), Brandon Flynn (Justin Foley), Kate Walsh (Mrs. Baker) und vielen weiteren erst möglich und einen sehr passenden Soundtrack unterstrichen.
Wie auch schon die erste Staffel bewegt sich auch die zweite in umstrittenen Themengebieten, von denen Kritiker behaupten, sie könnten selbstmordverherrlichend sein und verzweifelten Jugendlichen diesen Ausweg anbieten. Dabei ist das Ziel der Serie genau das Gegenteil. Man zeigt Probleme auf, die an Schulen überall auf der Welt vorkommen, wenn vielleicht auch nicht in der gezeigten Intensität, um darauf aufmerksam zu machen. Man weist daraufhin, wie wichtig es ist, sich gegenüber anderen fair und freundlich zu verhalten, da man nie weiß, was diese Person schon alles durchmacht. Zusätzlich wird zu Beginn der Serie ein Warnvideo mit den Schauspieler eingespielt, die jungen Menschen und Personen, die bei dieser Thematik unsicher sind, rät, die Serie vielleicht lieber mit einem Erwachsenen ihres Vertrauens anzusehen. Außerdem wird nach jeder Folge ein Link zu einer Internetseite, auf der man Hilfe und Informationen finden kann, angezeigt.
Fans der ersten Staffel wissen also, dass es sich bei Tote Mädchen lügen nicht um keine Feel–good-Serie handelt, und sind es gewohnt, dass es auch ein paar Szenen gibt, bei denen man am liebsten wegschauen würde. Doch vielleicht ist gerade das so wichtig, um im Kern bei den Zuschauern anzukommen. Es bedeutet aber nicht, dass es nicht auch sehr viele liebenswerte Charaktere und schöne Momente gibt, die das düstere Schulleben auf der Liberty High School etwas aufhellen. Es handelt sich eben um eine ganz andere Art Serie aus dem Coming–Of–Age-Genres, die einen, hat man erst einmal angefangen, nicht mehr loslässt und Zuschauer aller Altersgruppen zum Nachdenken bringt. Trotz aller Kritik schafft die Serie etwas, das wenig andere schaffen: Sie erzählt auf so aufdringlich realistische Art und Weise vom Leben von Schülern, dass jeder, der bereits Zeuge, Opfer oder Täter von Mobbing war – also eigentlich jeder –, sein Handeln überdenken muss. Und wer weiß, vielleicht verhalten sich manche ja wirklich anders – und besser –, nachdem sie Tote Mädchen lügen nicht gesehen haben.
Die zweite Staffel verfügt genauso wie ihre Vorgängerin über emotionale Momente, die den Zuschauer von Verzweiflung zu Freude zu Trauer und wieder zurückschwanken lassen. Das Anschauen ist eine reine Achterbahnfahrt der Gefühle, sodass der sofortige Zugriff auf alle Folgen auf Netflix zu der einen oder anderen durchgemachten – und durchgeheulten – Nacht führen kann. Und natürlich gibt es auch wieder ein offenes Problem, auf dessen Lösung Fans bis 2019 warten müssen. Eine dritte Staffel ist seit letzter Woche aber bereits angekündigt.