Superheld als Praktikum

dreht eine runde Bild: Disney

Spider-Man und Iron Man drehen eine Runde Bild: Disney

In seinem Versuch jede Zielgruppe abzudecken nimmt das munter weiter expandierende Marvel Cinematic Universe jetzt die Generation Selfie ins Visier. Regisseur Jon Watts liefert mit Spider-Man: Homecoming einen erfrischend unaufgeregten Superheldenfilm aus der Teenagerperspektive. – Der tatsächlich einige seiner Vorgänger alt aussehen lässt.

Nachdem die Alien-Invasoren, verrückten Wissenschaftler und durchgedrehten Roboter besiegt sind, ziehen sich die Superhelden wieder ins Privatleben zurück – und überlassen es den Normalsterblichen die Überreste der epischen Schlacht wegzuräumen. Hier steht Bergungsunternehmer Adrian Toomes (Michael Keaton) an vorderster Front, der sich seit den ersten Tagen der Avengers durch ihren Schrott wühlt. Dabei merkt er schnell, dass sich mit neu zusammengezimmerten Superwaffen sehr viel mehr Geld machen lässt, als mit Aufräumarbeiten. Acht Jahre später hat er sich einen kleinen aber lukrativen Waffenschieberring aufgebaut, als Spider-Man (Tom Holland) auf der Bildfläche erscheint. Zwischen Hausaufgaben und Nachsitzen versucht der Teenager-Held alles, um irgendwann Vollmitglied bei den Avengers zu werden. – Und mischt sich so ausgerechnet in Toomes‘ bisher größten Coup ein.

Spider-Man mit Selfie Cam

Die größte Stärken des Films sind die sympathischen Charaktere. Peter Parker rennt mit verstrubbelten Haaren und leuchtenden Augen mit einer Selfie Cam durch seinen ersten Superheldenkampf und darf damit – nach seiner skatenden Amazing-Inkarnation – wieder erfrischend uncool sein. Auch bei seinen Versuchen, New Yorks Unterwelt aufzumischen, stiftet er oft mehr Chaos, als echte Verbrechen zu verhindern. Viel interessanter ist aber was Regisseur Jon Watts aus dem bekannten Spider-Man-Mythos ausblendet: In Homecoming gibt es keine Hintergrundgeschichte, keine Spinne und keinen toten Onkel Ben – und damit zum ersten Mal einen Netzschwinger ohne Schuldkomplex und persönliche Dramen. Sein größtes Problem ist stattdessen, dass ihm immer wieder sein Rucksack geklaut wird, wenn er mal wieder in einer Seitengasse in sein Kostüm schlüpfen muss. Ansonsten gelingt es diesem neuen Spider-Man erstaunlich gut sein Privatleben, die Schule und seine – halbwegs clever als Stark-Industries-Praktikum getarnte – Superheldenidentität unter einen Hut zu bekommen.

Auch Michael Keaton überzeugt als sorgender Familienvater und Arbeitgeber, der zufällig auch noch Waffenhändler ist, und spielt sich sofort auf einen der vordersten Plätze unter den Marvel-Schurken. Erst wenn er selbst in ein Kostüm steigt und in etwas durch New York fliegt, das wie eine martialische Transformer-Version seines Birdman-Kostüms aussieht, rückt er etwas zu nah in Richtung durchgedrehter Superschurke. Seine Waffengeschäfte mit Kleinkriminellen haben daneben den Vorteil, dass Spider-Man den ganzen Film über gegen futuristische Technik kämpfen kann, ohne es mit zu übermächtigen Gegnern zu tun zu bekommen. Außerdem ist es einfach eine nette Idee, mit einem Alien-Anti-Gravitationsstrahl einen Geldautomaten zu knacken, statt Weltherrschaftspläne zu schmieden.

Helden im Hintergrund

vulture hat ein Hühnchen mit den Helden zu rupfen Bild: Disney

Toomes (Michael Keaton) hat ein Hühnchen mit den Helden zu rupfen                     Bild: Disney

Leider verfängt sich die Handlung immer wieder etwas zu sehr in altbekannten Highschool-Klischees. Peter darf seiner großen Liebe nachschmachten, muss miesen Mitschülern aus dem Weg gehen – und fährt pünktlich zum 3. Akt auf dem titelgebenden Homecoming Ball vor. Hier verliert die Geschichte etwas an Schwung, zumal selten echtes Highschool-Feeling aufkommt. Immerhin gelingt es Watts immer wieder charmant-witzige Nebenfiguren einzustreuen. Und es gibt Gelegenheit für ein paar so bizarr wie geniale Gastauftritte von Captain America (Chris Evans) in typischen Schul-Lehrvideos.

Allgemein halten sich die Avengers wohltuend im Hintergrund. Sogar Iron Man (Robert Downey junior) beschränkt sich auf kurze Mentor-Reden. Bleibt nur zu hoffen, dass er nicht zu weit in die Onkel Ben-Rolle gedrängt wird. Dementsprechend wird auch das Bedrohungslevel einen Gang heruntergeschaltet. – In der spektakulärsten Szene muss Spider-Man seine Freunde schlicht aus einem stecken gebliebenen Aufzug retten. Eine nette Abwechslung von der üblichen Weltrettung. Und eine willkommene Atempause, bevor sich die gesammelte Marvel-Mannschaft nächstes Jahr dem ultimativen Über-Schurken Thanos stellen muss.

Simon Lukas

Spider-Man: Homecoming läuft aktuell im Cinecitta‘ in Nürnberg.

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