Nach 25 Jahren Recherche bringt Martin Scorsese die dramatische Lebensgeschichte eines jungen Japan-Missionars auf die Leinwand. Der Ausflug auf den Inselstaat wird dabei schnell zur gnadenlosen Passionsreise. Silence ist ein Film mit eindrucksvollen Charakteren und großen Themen – und mindestens eine halbe Stunde zu lang.
Im Jahr 1938 verschwindet Pater Cristóvão Ferreira (Liam Neeson) auf einer Missionsreise in Japan spurlos. Schnell werden Gerüchte laut, der berühmte Jesuit sei vom Glauben abgefallen und zum Buddhismus übergelaufen. So schickt der Orden den jungen portugiesische Priester Sebastião Rodrigues (Andrew Garfield) und den Mönch Francisco Garrpe (Adam Driver) in den fernen Inselstaat. Hier sollen sie nicht nur den vermissten Pater aufspüren, sondern auch seine Missionsarbeit fortsetzen. – Dabei geraten sie allerdings bald mit der japanischen Obrigkeit aneinander, die eine Verbreitung der fremden Religion mit allen Mitteln verhindern will. Francisco wird getötet und Sebastião findet sich in einem Gefangenenlager wieder. Hier trifft er tatsächlich auf Pater Cristóvão, der nach den Monaten der Gefangenschaft wie ausgewechselt scheint.
Passion Christi auf Japanisch
Mit stolzen 160 Minuten Laufzeit hat Scorsese alle Zeit der Welt, seine Figuren in einer langen ersten Hälfte vorzustellen. Die Jesuiten bleiben dabei interessanterweise lange in einer passiven Beobachterrolle. Sie ziehen von Dorf zu Dorf und werden immer wieder Zeugen der brutalen Christenverfolgung. Besonders Sebastião – der als Erzähler durch den Film führt – gerät dabei mehr und mehr in eine Glaubenskrise. In diesem fremden Land fühlt er sich das erste Mal von Gott verlassen und egal wie oft er betet, die Antwort bleibt Schweigen. Garfield gelingt es hier mit wenigen intensiven Szenen sein Amazing Spider-Man-Image hinter sich zu lassen und den inneren Konflikt des zweifelnden Priesters glaubhaft darzustellen.
Leider wird dieser interessante Ansatz fallen gelassen, sobald der junge Jesuit dem Militär in die Hände fällt. Hier schwenkt Scorsese auf eine japanische Version der Passionsgeschichte um – inklusive Verräter in den eigenen Reihen. Sebastião wird für eine Handvoll Münzen verkauft, verhaftet und durch eine wütende Menschenmenge zum Richter getrieben. Damit auch der Letzte die Anspielung versteht, sieht er auch noch Jesus als sein Spiegelbild in einem See. Bei soviel Symbolik bleibt für eine Glaubenskrise natürlich keine Zeit mehr. Bei den unvermeidlichen Versuchungsszenen bleibt der junge Priester geradezu unmenschlich standhaft – auch als es seinen japanischen Mitgefangenen an den Kragen geht.
Gewaltexzess und Psychospielchen
In Sebastiãos Gefangenenlager findet Scorsese aus der Welt der Symbolik zurück in die harte Realität. Der Regisseur recherchiert seit den frühen 1990er Jahren über die historische Japanmission und scheint sich dabei besonders auf die perfiden Foltermethoden konzentriert zu haben: Japanische Christen werden reihenweise verbrannt, ertränkt, enthauptet und gekreuzigt. Hier hätten es ein paar Szenen weniger auch getan, zumal der interessantere Konflikt in den Gewaltexzessen unterzugehen droht: Sebastiãos Wärter versuchen den Priester psychologisch und theologisch zu brechen.
Ihre letzte Geheimwaffe ist dabei der verschollene Cristóvão, der inzwischen tatsächlich auf Seiten der Buddhisten steht und von Neeson mit grandioser Zerbrechlichkeit verkörpert wird. Dabei achtet Scorsese allerdings genau darauf, die Linien zwischen Gut und Böse nie verschwimmen zu lassen. Ein paar Versuche, die japanischen Inquisitoren zu vermenschlichen bleiben so oberflächlich und auch Cristóvãos Bekehrung erweist sich als abgekartetes Spiel. Umso erstaunlicher, dass der Film – nach schier endlosen Szenen in immer neuen Zellen, Foltergruben und Exekutierplätzen – letztendlich doch zu einem optimistischen Ende findet. Scorsese inszeniert die eindrucksvolle Schlussszene als Triumph der Glaubensfreiheit – und lässt sogar Gott selbst sein Schweigen brechen.
Simon Lukas
Silence läuft ab Donnerstag, dem 2. März, im Manhattan Kino.