Manche Menschen prägen das eigene Sein und Werden nachhaltig. Für die mittlerweile 70-jährige „Godmother of Punk“ Patti Smith war Robert Mapplethorpe einer dieser wichtigen Persönlichkeiten. In den Memoiren „Just Kids“ erzählt sie von ihrem einstigen Weggefährten und gibt einen spannenden Einblick in die gemeinsamen ersten Gehversuche als Künstler in New York.
Schon als junges Mädchen hatte Patti ihre Berufung für sich bestimmt: Sie will „Künstlerin“ werden. Doch am Ort ihrer Kindheit, dem ländlichen und – wie Patti es einst selbst bezeichnete – kulturfernen Jersey fühlt sie sich eingeengt und fremd. Nur die Literatur verschafft ihr einen willkommenen Ort der Zuflucht und verleiht den Träumen noch größeres Gewicht. Mit 20 Jahren fasst sie schließlich den Entschluss, ihr Elternhaus zu verlassen, um ganz alleine in New York dem für sie bestimmten Weg zu folgen. Sie reist mit kaum mehr als ihrem Lieblingsbuch – Arthur Rimbauds Illustrationen – und stürzt sich in das große Unbekannte. »Heute war Montag; ich war an einem Montag geboren. Es war ein guter Tag, um in New York City einzutreffen. Niemand erwartete mich. Alles wartete auf mich«.
Bereits in den ersten Wochen in New York trifft Patti auf Robert Mapplethorpe. Eine glückliche Fügung, denn genau wie sie möchte der leidenschaftliche Verehrer von Andy Warhol sein ganzes Leben der Kunst widmen. Robert sollte später als Fotokünstler weltweiten Ruhm erlangen; doch im Sommer 1967 sind die beiden bloß zwei jugendliche Träumer im menschenüberfüllten New York. Zwischen den beiden entwickelt sich sofort eine innige Verbundenheit, die von einem tiefem Respekt und dem unerschöpflichen Glauben an die Kunst getragen wird. Mit „Just Kids“ hat Patti Smith dieser kostbaren Freundschaft ein ganzes Buch gewidmet, an dem sie über 10 Jahre arbeitete.
Mit beeindruckender Präzision schildert Patti ihre Erinnerungen an die so befreienden ersten Jahre in New York, die sie zusammen mit Robert erlebt. Sie entführt den Leser in die erste gemeinsame Wohnung in Brooklyn, in der die beiden nächtelang an Zeichnungen und Gedichten arbeiten. Die sonntäglichen Ausflüge nach Coney Island in exzentrischen Künstlergewändern. Aber auch die finanziellen Sorgen und Angst vor dem Scheitern beschreibt sie mit großer Ehrlichkeit. In einem Interview erzählte Patti Smith von diesen frühen Jahren einmal wie folgt: »In meiner Vorstellung gab es kein Ende unserer gemeinsamen Zeit. In all den Jahren, in denen ich mit Robert zusammenlebte, habe ich so viele Bilder seiner Hände gezeichnet, niemals jedoch habe ich sein Gesicht porträtiert«
Nach und nach lernen Patti und Robert die bekannten Persönlichkeiten der New Yorker Künstler- und Musikerszene kennen und machen sich selbst einen Namen. Es ist die richtige Mischung aus Authentizität und Talent, die den beiden viele Türen öffnen – auch die des legendären Chelsea Hotels, in dem die beiden ab 1969 ein Zimmer mieten. Größen wie Bob Dylan, Allen Ginsberg und Janis Joplin gehören zu dieser Zeit zu den regelmäßigen Gästen des Künstlerhotels. In „Just Kids“ vermischt Patti Smith nun ihre und Roberts persönliche Geschichte mit dem zeitgleichen Aufstieg in die oberen Ränge der New Yorker Kunstbewegung. Die Autorin bietet den Lesern hierbei ein Sammelsurium an Inspirationen, etwa Songs, Kunstwerke, Bücher oder einfach das Lebensgefühl der frühen 1970er-Jahre, denen es nachzuspüren gilt. Wer die poetische Künstlerautobiographie liest, wird sicherlich noch ein bisschen länger in der einstigen New Yorker Welt von Patti Smith und Robert Mapplethorpe verweilen wollen.
Patti Smiths „Just Kids“ ist als Taschenbuch im S.Fischer Verlag erschienen (ISBN: 978-3-596-18885-7).
Anja Groß