„Ich werde nur einen Versuch brauchen“, sagt Amira überzeugt. Und meint einen Versuch, sich umzubringen – wenn sie aus Deutschland ausgewiesen wird. Den Satz sagt sie direkt in die Kamera. Das Video lädt sie auf YouTube hoch, wie die Zuschauer bei der Premiere von Heimat.com am 3. Juni in der Garage Erlangen erfahren. Medienkritisch, satirisch und aktuell ist Holger Schobers Stück.
Amira (Shana Sophie Brandl), 15 Jahre alt, Kriegsflüchtling aus dem Kosovo, hat in Deutschland ihre Heimat gefunden: „Ich habe mein Herz in Deutschland. Heimat ist ein Gefühl.“ Sie hat hier ihre Freunde, ihr Leben, ihre Zukunft. Nicht im Kosovo. Doch dorthin soll sie zurückkehren, denn ihre Familie hat einen Ausweisungsbescheid bekommen. Wenn es so weit komme, erklärt sie im Video, sei sie lieber tot.
Das Video wird auf YouTube ein Hit, aus Amira wird ein Star, urplötzlich. Sie stolpert unvorbereitet in den Medienzirkus. An einen Zirkus oder Jahrmarkt erinnern viele Requisiten in Marlene Hildebrands Inszenierung: Das Podest, die grünen Luftballons, die Zuckerwatte, die knallbunten Stoffblumen und der Sand auf der Bühne. Sand, aus dem Häuser geformt sind. Amira zerstört sie, während sie vom Krieg im Kosovo erzählt, von Träumen, die sie sich nicht leisten kann. Alles unsicher, instabil, aus Sand eben. Dieser ruhige, scheinbar unbeobachtete Moment mitten im Sand mündet direkt im Medientrubel.
Von Blumen überhäuft
Medien, Rezipienten, alle scheinen Amira zu unterstützen. Sie sitzt in Talkshows, bekommt ein Konzert am Nürburgring, es gibt Bücher und Filme über sie. Sie wird von Blumen überhäuft, die Mediengesellschaft steht hinter ihr. Dazwischen allerdings: Ein Interview mit dem Innenminister, der betont: „Ich bin nicht zuständig für Hoffnung, sondern Fakten.“ Dann wird ein Filmausschnitt von Angela Merkel eingeblendet, die erklärt, Deutschland könne nicht jeden aufnehmen, der seit 25 Jahren im Flüchtlingslager im Libanon sei.
So schnell Amiras Aufstieg war, so schnell endet er. Andere Medienereignisse verdrängen sie. Eine Medienexpertin schließt aus der sinkenden Aufmerksamkeit: „Durch Amiras Selbstmord wäre ihr die Aufmerksamkeit wieder sicher.“ Es klingt makaber, aber tatsächlich sind Mediennutzer nur noch genervt von Amira. Menschen mit anonymen Hasenmasken rufen: „Wir sind das Volk – du bist es nicht.“ Immer mehr Hasenköpfe werden an die Wand projiziert. Die Stimmung hat sich radikal verändert. Erschreckend, wie sehr die Szene an Pegida erinnert.
Einerseits, klar, ist das Mediensystem übertrieben dargestellt, weil es eine Satire ist. Andererseits ist der Fokus immer auf Amira, auf dem Einzelschicksal, dem Gesicht, das für einen ganzen Diskurs um Asyl steht. Als Zuschauer sieht man nicht nur die öffentlichen Auftritte im Fernsehen, sondern auch die privaten Momente. Wie es ihr geht, wenn Leute behaupten, dass sie aus ihrer Notlage Gewinn schlage. Man sieht, dass sie sich als Deutsche fühlt, weil sie in Deutschland aufgewachsen ist. Diese Gefühle zeigt Shana Sophie Brandl sehr anschaulich und nachvollziehbar.
Mit den Zirkuselementen, die sich durch die ganze Inszenierung ziehen, wird entlarvt, wie oberflächlich das Interesse der Öffentlichkeit und des Mediensystems an diesem Einzelschicksal ist. Ein neues Ereignis? Zack, Amira ist vergessen. Und mit ihr alle, die ebenfalls um ein Bleiberecht kämpfen. Es ist eine spannende Inszenierung, die sich in die Debatte um Asylanten, Pegida und die sogenannte Lügenpresse einbringt.
Patricia Achter
Weitere Termine:
11. Juli 2016, 20 Uhr
12. Juli 2016, 20 Uhr
15. Juli 2016, 20 Uhr