Monster ex machina

Leben aus dem Glas? Nicht mit Igor!

Leben aus dem Glas? Nicht mit Igor (Daniel Radcliffe)! Bild: Fox

Eine vorlagengetreue Literaturverfilmung hat bei Victor Frankenstein – Genie und Wahnsinn niemand erwartet. Doch Regisseur Paul McGuigan schafft es, Mary Shelleys Roman komplett auf den Kopf zu stellen. Das schlimmste Monster ist bei ihm weder die aus Leichenteilen zusammengestückelte Kreatur noch ihr Schöpfer – sondern die Technik. Damit macht er seinen Film zum politischen Statement. Keine gute Idee.

Der entscheidende Satz fällt nach etwa einer halben Stunde. Viktor Frankenstein hat es sich eben in der edlen Atmosphäre eines Londoner Clubs gemütlich gemacht, als er plötzlich und ohne Vorwarnung beginnt von „in Bottichen gezüchteten Babys“ zu fantasieren. Mit der Begeisterung eines verrückten Wissenschaftlers erklärt er seinen überraschten Tischnachbarn wie genau er leibliche Eltern in Zukunft überflüssig machen will. Woher diese Idee kommt und was sie mit dem Rest des Films zu tun hat bleibt offen. Fest steht nur – in Paul McGuigans Welt ist Frankenstein der Erfinder der In-vitro-Fertilisation.

„Abartige Halbwesen“

Diese unselige Verknüpfung ist nicht neu: Vor gerade mal zwei Jahren verurteilte die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff künstlich gezeugte Kinder als „abartige Halbwesen“ und erntete Applaus. Die verantwortlichen Ärzte waren für sie – was sonst – „Frau und Herr Dr. Frankenstein“. Was als Meinung einer Einzelnen verpufft ohne zu großen Schaden anzurichten hämmert sich jetzt mit einem 40 Millionen Dollar-Film ins Bewusstsein eines großen Publikums: Künstliche Befruchtung ist Stoff für Horrorfilme. Wenn der Mensch Leben im Labor zusammenrührt, kann dabei ja nichts Gutes herauskommen.

Bild: Fox

Frankenstein (James McAvoy, links) bei der Arbeit Bild: Fox

Die Vergleiche zeigen zuallererst, dass hier jemand das Buch nicht verstanden hat: In Mary Shelleys Roman entwickelt sich die Kreatur zum Schurken, weil sie von Schöpfer und Gesellschaft abgelehnt wurde. Sie wird zu dem Monster gemacht, das alle in ihr sehen. McGuigan hat nur ein paar Minuten für die Kreatur übrig – besonders weil er sich so lange mit Igors Vorgeschichte herumschlägt, einer Figur, die im Buch überhaupt nicht vorkommt. In seinem Horrorfilm braucht er ein paar Monster. Und so läuft alles, was Frankenstein zum Leben erweckt sofort Amok und muss so schnell und heldenhaft wie möglich wieder zur Strecke gebracht werden. Insgesamt lebt die Kreatur keine 10 Minuten bevor sie pünktlich zum Happy End umgebracht wird.

Alles Monster außer Igor

Nicht nur die Technik ist böse, auch bei den Figuren bleiben nicht viele Sympathieträger übrig. Zu Anfang wird immer wieder versprochen den Tod zu besiegen, aber schon bald werden die egoistischen Motive der Monstermacher deutlich: Frankensteins Geschäftspartner will die Technik patentieren lassen um noch ein bisschen reicher zu werden – und ist dafür bereit über Leichen zu gehen. Der Wissenschaftler selbst wird zunehmend wahnsinnig und will mit der Kreatur seinen toten Bruder wiedererwecken. Dem Zuschauer bleibt nur noch Igor als Identifikationsfigur. Der ist zu Anfang noch begeistert von der neuen Technik, lernt dann aber zu dramatischer Musik, dass der Mensch nicht Herr über Leben und Tod sein darf – bevor er der Kreatur heldenhaft einen Metallträger ins Herz rammt.

Dieses Actionfeuerwerk hat nun überhaupt nichts mehr mit Shelleys Vorlage zu tun. Ihr ging es vor allem um die Folgen einer gesellschaftlichen Außenseiterrolle. Es ist eine traurige Ironie, dass gerade dieses Buch heute immer wieder benutzt wird, um die Angst vor dem Anderen zu schüren. Weltweit sind es inzwischen mehr als fünf Millionen künstliche Menschen. Jedes Jahr kommen allein in Deutschland 10.000 neue dazu. Die „Babys in Bottichen“ sind längst Normalität. Höchste Zeit, dass sich auch die Letzen damit abfindet.

Simon Lukas

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