Wo hinter jeder Ecke Monster lauern

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Oha, schon wieder so ein Seeungeheuer! Bild: Panini

Mit Providence arbeitet sich Alan Moore mal wieder am unerschöpflichen Erbe von H. P. Lovecraft ab. Comic-Legende trifft auf Horror-Ikone – kein Wunder, dass es da schon bald von magischen Riten, Geheimgesellschaften und Ungeheuern aller Art wimmelt. Umso erstaunlicher, dass in dem Buch fast nichts passiert.

Es klingt wie der Anfang einer klassischen Horror-Geschichte: Ein Mann erkundet den Keller eines geheimnisvollen Hauses, steigt immer tiefer hinunter, bis er sich in einer riesigen Höhle wiederfindet, entdeckt einen schimmernden Dämon zwischen dem Geröll und – nimmt den nächsten Zug nachhause. Und so läuft mehr oder weniger jedes der vier Hefte in diesem ersten Sammelband ab. Alan Moore schickt seinen etwas unbedarften aber ehrlich interessierten Protagonisten auf Erkundungstour durch die düstere Lovecraft-Welt, um ihn dann gemütlich in sein Hotelzimmer zurückkehren zu lassen. Jedes Kapitel endet mit seitenlangen Tagebucheinträgen unseres Helden, die nur zeigen, dass er mal wieder gar nichts verstanden hat.

 

Moores Labyrinth der Anspielungen

Die Haupthandlung folgt Robert Black, einem jungen Journalisten, der im Sommer 1919 auf Recherchereise für seinen ersten Roman in den Dunstkreis einer mysteriösen Geheimgesellschaft gerät. Er macht sich auf die Suche nach dem rätselhaften Buch der Weisheit der Sterne, das nicht nur die Zukunft voraussagt sondern sogar Tote wiedererwecken soll. Keine schlechte Sache – zumal Blacks langjähriger Liebhaber sich gerade das Leben genommen hat. Viel interessanter sind aber die Nebenhandlungen in die der Journalist immer wieder stolpert – hier tummeln sich fluchende Flaschengeister, mathematikbegabte Halbdämonen und bizarre Fischmenschen.

Für Lovecraft-Fans werden diese Abstecher ins Übernatürliche zur Fundgrube. Moore beweist sich einmal wieder als Meister der Andeutung und hat in den Panels und zwischen den Zeilen zahllose Anspielungen auf Leben und Werke der Horror-Legende versteckt. Lovecrafts Geburtsstadt als Titel ist hier nur das augenfälligste. Wer sich mit Cthulhu-Mythos und den Großen Alten nicht auskennt, könnte in diesem Labyrinth der Anspielungen gelegentlich verloren gehen. Wie schon in der Liga der außergewöhnlichen Gentlemen-Reihe lässt sich dabei auch nie genau sagen, wie ernst Moore sein Ausgangsmaterial nimmt. Der Journalist, der alle paar Schritte in okkulte Rituale und geheime Zirkel gerät, könnte auch eine Parodie auf die oft ähnlich schwach motivierten Lovecraft-Erzählungen sein – und in seinem Tagebuch ergeht sich Möchtegern-Literat Black immer wieder darüber, wie schwierig bis unmöglich es ist, Horror realistisch darzustellen.

 

Manchmal lohnt ein Blick zurück Bild: Panini

Die Monster, das sind die anderen               Bild: Panini

Alptraumhafte Bilder

Überhaupt, das Tagebuch. Mal wieder hat Moore es sich nicht nehmen lassen, seine Comicwelt mit Textauszügen und Manuskripten anzureichern. Die Tagebuchform erlaubt uns dabei Einblicke in das Innenleben unseres Hauptcharakters, die der Comic sonst nicht bieten könnte. Allerdings stellt sich ziemlich schnell heraus, dass Black den Hang hat, seine Erlebnisse sehr detailliert nachzuerzählen. – Vielleicht eine Spur zu detailliert, immerhin waren wir als Leser gerade live dabei. Interessanter sind da schon die Ideen für Kurzgeschichten und Romane die er immer wieder aufs Papier kritzelt. Hier wird überdeutlich, wie seine Fantasie langsam aber sicher alle Verbindungen zur Realität kappt und sich in immer unheimlicheren Horror-Visionen verliert. Dazu gibt es mehr oder weniger hilfreiche Schriftstücke, die Black auf seinen Reisen einsteckt – besonders lustig der Gemeindebrief einer Wassermann-Kirche („Folget mir nach, und ich werde euch zu Menschenfischen machen“).

Jacen Burrows Bilder fangen die düstere Atmosphäre von Lovecrafts Neuengland perfekt ein. Seine Sümpfe, Höhlen und menschenleere Straßen scheinen nur darauf zu warten, dass mal wieder ein namenloser Schrecken in die Geschichte einbricht. Dagegen wirken die Menschen, die in dieser magischen Welt herumspazieren gelegentlich ein bisschen steif und unbeteiligt. Erst wenn es an die Ungeheuer geht kann Burrows seiner Kreativität freien Lauf lassen und bringt Monstrositäten aufs Papier, die tatsächlich ihren Weg in Albträume finden könnten. Trotzdem bleibt fraglich, ob  der „Empfohlen ab 18“-Sticker wirklich nötig gewesen wäre. – Aber es ist ja auch erst der erste Band. Bleibt zu hoffen, dass im nächsten ein bisschen mehr passiert. Und dass unser Protagonist es diesmal mitbekommt.

Simon Lukas

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Alan Moore / Jacen Burrows
Providence Band 1

 

Panini
2015

19,99 €
144 Seiten

Empfohlen ab 18 Jahren

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