
Heute ganz klassisch: Holmes (Benedict Cumberbatch) und Watson (Martin Freeman, mit Schnurrbart) Bild: BBC
Die Autoren von Sherlock sind bekannt dafür, sich in ausweglose Situationen zu schreiben. In Die Braut des Grauens, der zweiten Sonderfolge der BBC-Erfolgsserie, flüchten sie sich jetzt sogar ins viktorianische Zeitalter, nur um einer Frage aus dem Weg zu gehen: Wie steht es um Moriarty?
Mörder, Geister und jetzt auch noch eine Zeitreise: Gerade musste Sherlock Holmes (Benedict Cumberbatch) noch mit der vermeintlichen Rückkehr seines toten Erzrivalen Jim Moriarty (Andrew Scott) fertig werden, da schließt der weltbeste Detektiv die Augen und findet sich promt im 19. Jahrhundert wieder – natürlich nur mental. Hier treibt eine Psychopathin ihr Unwesen, die nach einem spektakulären Kopfschuss munter weiter Jagd auf Londons Bürger macht. Holmes will den ungeklärten Fall lösen, als Gedankenspiel und um einem ganz aktuellen Rätsel auf den Grund zu gehen. Zum Glück stehen ihm dabei die viktorianischen Äquivalente von Watson (Martin Freeman) und Gerichtsmedizinerin Molly Hooper (Loo Brealey) zur Seite.
Einmal 19. Jahrhundert und zurück
Ein Sherlock-Fall im 19. Jahrhundert war ein Wagnis – immerhin war es gerade die Verlagerung ins Digitalzeitalter, die die Serie so wohltuend von allen bisherigen Adaptionen abhob. Aber Chefautor Steven Moffat beweist, dass sein Sherlock auch in der Originalkulisse bestens funktioniert. Das düster-neblige Setting passt perfekt zur Geisterjagd im nächtlichen London. Statt Tweets flattern jetzt Notizzettel durch Holmes Büro und Watson ruft er per Telegramm zur Arbeit. Zum Glück haben sich die beiden auch in viktorianischer Zeit viel zu sagen – die Dialoge sind brillant wie immer und das Drehbuch wirbelt gewohnt gekonnt zwischen Action, Spannung und britischem Humor. Sherlock bleibt Sherlock – ob mit oder ohne Smartphone.
In der ungewohnten Kulisse wurde auch den altbekannten Figuren ein neuer Anstrich verpasst. Die Autoren kosten ihre Sonderfolge-Freiheiten hier voll aus: Watson kommt mit seinem neuen Schnurrbart noch vergleichsweise glimpflich davon, der disziplinierte Mycroft Holmes (Mark Gatiss) wird promt zum dauermampfenden Fettberg umgeschrieben. Doch das radikalste Umstyling erlebt Molly Hooper. Um Ende des 19. Jahrhunderts als Gerichtsmediziner zu arbeiten, muss sie zum Mann werden – nicht der einzige Hieb gegen die gängigen Geschlechterrollen zu Arthur Conan Doyles Zeiten. Durch den Abstecher in die Vergangenheit, tritt die 21. Jahrhundert-Handlung naturgemäß ziemlich auf der Stelle. Die gut 90 Minuten Spielzeit reichen so gerade aus, um den großen Cliffhanger der letzten Staffel aufzuklären.
Kopfschuss-Überlebenstricks
Sherlock-Fans sollte der Fall der Braut des Grauens bekannt vorgekommen sein. Auch Moriarty hatte sich im Frühjahr 2012 per Kopfschuss aus dem Seriengeschehen verabschiedet – und auch der Erzschurke tyrannisierte London aus dem Grab heraus weiter. Seit damals schossen verschiedenste Fantheorien ins Kraut, ob – und wenn ja wie – der Publikumsliebling überlebt haben könnte. Einige der beliebtesten Theorien gehen Detektiv und Doktor jetzt am Fall der Braut durch. Hat sie vielleicht einen Zwilling geopfert? „Es sind niemals Zwillinge“, belehrt Holmes. Eine manipulierte Waffe? Ein Ablenkungsmanöver? Jede Spur der Geisterbraut könnte ein Hinweis auf Moriartys Schicksal sein. Schauspieler Andrew Scott bleibt uns als herrlich abgedrehter Erzschurke in jedem Fall erhalten. Auch im 19. Jahrhundert springt er immer wieder quicklebendig durch die Handlung – immerhin spielt es sich alles in Holmes‘ Kopf ab. Und hier hat seine alte Nemesis für immer einen Platz.
Nach 1,5 Stunden viktorianischer Geisterjagd wird das Rätsel dann doch noch gelöst. Bis sich diese neueste Entwicklung auf die Gegenwart auswirkt, wird es aber noch etwas dauern. Mal wieder kommt der Serie die zunehmende Popularität ihres Personals in die Quere: Nachdem Freeman jahrelang den einen Ring durch Mittelerde tragen musste, ist Cumberbatch in nächster Zeit zusehr damit beschäftigt die Welt vor magischen Bedrohungen zu beschützen – der Start der 4. Staffel wurde auf 2017 verschoben. Bleibt zu hoffen, dass die Autoren bis dahin alle verbleibenden Handlungslöcher stopfen können.
Simon Lukas
Mehr Informationen und jede Menge Hintergrundmaterial zur filmischen Zeitreise gibt es hier.
Die Braut des Grauens ist definitiv ein gelungener Exkurs der Serie! Neben der erwähnten Ummodelierung der Charaktere find ich auch die visuellen Effekte am beeindruckendsten. Nur schade, dass wir nun bis 2017 warten müssen..