Man könnte die Sterne deuten, Blei gießen oder eine Kugel befragen. Zum Jahreswechsel gehört der Blick in die Zukunft genauso dazu wie der Blick in die Vergangenheit. Was wird passieren? Sterne, Blei, Kugel – alles zu aufwendig für mich. Ich versuche es mit Tarot-Karten. Die habe ich zwar auch nicht, aber ein bisschen Improvisation muss sein, wenn man keine mit Talent gesegnete und ausgebildete Wahrsagerin ist. Begleite mich auf dem Weg in die kulturelle Zukunft der Region…
Es ist die Neujahrsnacht. Du betrittst einen düsteren Raum, kaum beleuchtet. Von den Kerzen auf den rissigen Dielen tropft das Wachs, sodass sie wie uralte Eichen mit dem Boden verwurzelt zu sein scheinen. Unheilvoll flackern die Flammen im kühlen Luftzug, der sich durch die halbgeöffnete Tür stiehlt. Goldenes Licht fällt auf die uralte Standuhr an der Wand und du siehst: Die Geisterstunde naht.
Du gehst auf den niedrigen Tisch zu, handgeschnitzt aus Mahagoni und mit einer marmornen Tischplatte bedeckt. Du kniest dich ehrfurchtsvoll vor das edle Möbelstück und betrachtest den Stapel Tarot-Karten, der sich wie ein kleines Gebirge wölbt, weil schon so viele Hände ihn berührt haben.
Jetzt muss ich das Bild von der schön-schaurigen Umgebung leider kurz zerstören. Die Beschreibung ist kompletter Unsinn. Neujahr ist schon vorbei, es ist nachmittags und ich habe keine Standuhr. Mein Stapel Tarot-Karten wölbt sich tatsächlich – aber nur, weil das Papier so dünn ist, dass es sich nicht besonders gut als Kartenersatz eignet. Die Karten sind nicht größer als ein Daumen, türkis (weil gerade kein anderes Papier in der Nähe war) und ohne Bilder. Dafür habe ich sie von 0 bis 21 durchnummeriert (in römischen Zahlen, damit zumindest ein bisschen Esoterik dabei ist). Welche Zahl für welche Karte steht, verraten die großen Arkana (Tipp: Wikipedia-Artikel über Tarot-Karten).
Du nimmst die Tarot-Karten in die Hand und mischst sie. Der Geruch nach altem Papier steigt in deine Nase. In dem Moment verharrt der große Zeiger der Standuhr mit einem lauten Knacken genau über dem kleinen Zeiger. Kurz scheint die Zeit still zu stehen. Dann vernimmst du den ersten hallenden Glockenschlag. Zu jedem der zwölf Schläge ziehst du eine Karte aus dem gefächerten Stapel und legst sie sorgfältig nebeneinander. Zwölf Karten, die für die zwölf Monate des Jahres stehen. Du drehst sie erwartungsvoll um. Was das neue Jahr wohl bringen wird?
Anscheinend ist allein das Kartenlegen eine Kunst für sich. Ich habe die Karten einfach in zwei Reihen gelegt, von links nach rechts. Eine noch größere Kunst ist das Auslegen der Karten. Wenn ich jetzt mit dem Wahrsagen anfange, sind das sozusagen nur die Kritzeleien eines Kindes, das zum ersten Mal einen Stift in der Hand hält.
Die 12 Monate im Jahr 2016
Der Januar steht unter dem Symbol des Wagens: Wir suchen nach dem rechten Weg. Bei der Suche kann Pater Anselm Grün behilflich sein, der am 11. Januar 2016 im Markgrafensaal Schwabach einen Vortrag hält: „Immer wieder begegne ich Menschen, die das Gefühl haben, ihr Leben versäumt zu haben, nicht wirklich gelebt zu haben. Und ich begegne Menschen, die vor lauter Sich-Absichern es nicht wagen, sich auf das Leben einzulassen.“ (Beachte das Wort „wagen“.)
Die Karte der Liebenden hat sich den Februar ausgesucht. Was für ein Zufall, dass am 15. Februar 2016 in der Nürnberger Meistersingerhalle das Musical „Sissi. Liebe, Macht und Leidenschaft“ gezeigt wird. Das müssen die Karten gewusst haben.
Im März begegnet uns der Teufel. Leibhaftig. Er und Gott kommen am 18. März 2016 nach Erlangen. „Das Jüngste Gericht – Comedy Dinner“ wird das Publikum wohl nicht zu Tode erschrecken.
Für den April habe ich die Karte der Herrscherin gezogen, auch Kaiserin oder Mutter genannt. Und wie das Schicksal will, spielt am 5. April 2016 die Violinistin Anne-Sophie Mutter in der Meistersingerhalle in Nürnberg.
Unter dem Zeichen des Mondes steht der Mai. Der Mond ist nicht weit von den Sternen entfernt (zumindest aus unserer Perspektive). Und Erlangen lädt am 6. Mai 2016 zur Sternennacht ein, Nürnberg einen Tag später zur Blauen Nacht.
Der Juni wird Kraft bringen. Kraft brauchen werden alle, die vom 3. bis 5. Juni 2016 nach Nürnberg zu Rock im Park gehen.
Das Leben ist voller Hochs und Tiefs… für Juli habe ich den Tod gezogen. Er steht – überraschenderweise – für Verlust. Um Tote geht es am 3. Juli 2016 in der Premiere des AMVi-Theaters Erlangen. Dort wird das Ding aus dem Meer aufgeführt. Da Menschen von diesem Ding umgebracht werden, wäre wohl auch die Karte des Gehängten passend gewesen.
Im August erwartet uns die Welt – laut Karte jedenfalls. Wer nicht in die Ferne reist, kann auch in der Region einen schönen Urlaub verbringen. Beim Sommernachtsfilmfestival in Nürnberg wird die Welt direkt auf die Kinoleinwand übertragen.
Schwierig wird es mit dem Wahrsagen ab September. Viele Kulturprogramme stehen noch nicht fest. Da im September ohnehin die Karte Die Mäßigkeit gilt, heißt das wohl, dass wir uns für diesen Monat nicht zu viel Kulturprogramm vornehmen sollten. Der Oktober verspricht Gerechtigkeit. Wer weiß, ob die Karten halten, was sie versprechen. Denn das Gericht findet erst im darauffolgenden Monat statt. Offensichtlich habe ich die Karten in der falschen Reihenfolge gezogen.
Für den Dezember kann ich hingegen eine ziemlich verlässliche Voraussage treffen. Die Hohepriesterin interpretiere ich als das Nürnberger Christkind. Ich gehe davon aus, dass Weihnachten dieses Jahr stattfindet und der Christkindlesmarkt wie jedes Jahr von Menschen überlaufen wird.
Du verschwindest aus dem düsteren Raum, der noch düsterer wird, weil ein Windstoß durch die offene Tür fegt und die Kerzen zum Erlöschen bringt. Die Karten geraten durcheinander, verteilen sich kreuz und quer über den Tisch und den Boden. So schnell ist das Schicksal neu gemischt.
Patricia Achter
Das re>flex-Team wünscht allen ein gutes neues Jahr 2016, in dem sich Tod und Teufel hoffentlich nur in Form von humoristischen Theaterstücken blicken lassen.