Mr. Markenname

Sherlock Holmes ist zurück – und er hat einen neuen Hut

Sherlock Holmes ist zurück – und er hat einen neuen Hut Bild: Alamode Film

Was wäre, wenn Sherlock Holmes kein brillanter Detektiv, sondern ein grummeliger Bienenzüchter wäre? Regisseur Bill Condon widmet dieser brennenden Frage einen ganzen Film und lässt Sir Ian McKellen als Mr. Holmes auf seine Mitmenschen los. Nebenbei geht es dann doch noch um einen Fall – mit Sherlock Holmes hat das ganze trotzdem nicht viel zu tun.

Mit 93 Jahren hat Sherlock Holmes (Sir Ian McKellen) die Deerstalker-Mütze längst an den Nagel gehängt und sich in seinem Landhaus zur Ruhe gesetzt. Sein weltweiter Ruhm lässt den Meisterdetektiv a. D. kalt – die literarische Verarbeitung seiner Abenteuer fand er schon immer maßlos übertrieben. Jetzt im Alter beschäftigt der Rentner sich lieber mit seinen Bienen, als mit ungelösten Verbrechen. Während der Arbeit an seinen Bienenstöcken freundet sich der Griesgram langsam mit Roger (Milo Parker), dem Sohn seiner Haushälterin, an. Um dem jungen Rätselfan einen Gefallen zu tun, beschließt Holmes seinen letzten Fall noch einmal aus seiner Sicht – und diesmal mit dem richtigen Ende – aufzuschreiben. Doch er hat Probleme sich an die Details zu erinnern. Der beste Detektiv der Welt ist dabei sein Gedächtnis zu verlieren.

Alles gelogen!

Schnell wird klar, dass es Regisseur Bill Condon nicht um eine stilgetreue Weitererzählung des Holmes-Mythos geht. Stattdessen kokettiert er geradezu damit, alle Erwartungen zu enttäuschen. Die berühmte Mütze? Eine alberne Erfindung! Die Detektivarbeit? Zu gleichen Teilen gesunder Menschenverstand und raten. Nicht mal die berühmte Adresse in der Bakerstreet stimmt. Wenn man all diese Komponenten von Sherlock Holmes abzieht, bleibt nicht mehr viel übrig – nur noch ein berühmter Name, mit dem sich gut Geld machen lässt. So entpuppt sich Mr. Holmes als relativ schamloser Vertreter jener unseligen Franchise-Mentalität, die die Filmindustrie seit längerem fest im Griff hat. So wie es niemanden interessiert, was Donnie Darkos kleine Schwester als Teenager erlebt, oder wie Hanibal Lecter seine Kindheit verbracht hat, ist es auch nicht abendfüllend sich vorzustellen, wie es Sherlock Holmes wohl im Alter geht.

Schön mitschreiben! Mr. Holmes gibt Bienenkunde

Mr. Holmes gibt Bienenkunde Bild: Alamode Film

McKellen spielt gewohnt großartig, hat aber gegen das Drehbuch letztlich keine Chance. Zu jeder Inkarnation des berühmten Detektivs gehört die unverschämte Überlegenheit gegenüber jedem anderen im Raum. Dieser Mr. Holmes ist ein gebrechlicher Greis, der sich nicht mal auf sein eigenes Gedächtnis verlassen kann. Ein paar Mal blitzt die gewohnte Genialität noch auf, die restliche Zeit verbringt er im Bett oder über seiner Arbeitsmappe am Schreibtisch. Und auch der Fall, den er dabei in verwinkelten Rückblenden zu rekapitulieren versucht hat nichts mit einer klassischen Holmes-Geschichte zu tun. Es gibt kein Verbrechen, es gibt keinen Schurken, dafür eine große Tragödie und ein sehr düsteres Ende. Nichtmal ein Dialog mit Watson – in anderen Adaptionen das emotionale Kernstück des Holmes-Mythos – kann die Stimmung heben. Auch der gute Doktor wurde aus dem Drehbuch gekickt.

Flucht in die Spiritualität

Der kleine Roger, der jetzt gezwungenermaßen in die Rolle des besten Freundes rutscht, funktioniert als Watson-Ersatz nicht. Holmes oberlehrerhaftes Auftreten verliert seine Wirkung, wenn er es wirklich die halbe Spielzeit lang mit einem Kind zu tun hat. Soviel Mühe sich der Film auch gibt, den gealterten Detektiv als Vaterersatz zu installieren, Roger wächst dabei nie über die Rolle des staunenden Stichwortgebers hinaus. Letztlich erfüllt er nur einen erzähltechnischen Zweck: Er ist nur ein Grund warum sich Holmes nach all den Jahren noch einmal mit seinem letzten Fall befassen muss. Abgesehen davon erschöpft sich die Freundschaft in einer augenzwinkernden Allianz gegen Rogers Mutter, die – man höre und staune – anscheinend etwas dagegen hat, dass ihr junger Sohn jede freie Minute in einem Bienenschwarm verbringt.

Das Ende überspannt den Bogen vollends. In einer bizarren Wendung flüchtet sich Logik-Mastermind Holmes in die Spiritualität. Während der Regisseur halbherzig versucht die düstere Endstimmung irgendwie zum Happy End zu kippen, verzweifelt sein Hauptcharakter an der Komplexität der Welt. In der letzten Szene versinkt Sherlock Holmes in einem japanischen Steinkreis ins innige Gebet. Das grenzt dann schon an Rufmord.

Simon Lukas

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert