Ohne Vorkenntnisse, aber mit großen Ambitionen meldet sich Friseuse Rita zu einem Literaturkurs an. Ihr Ziel ist klar – sie will einfach alles lernen. Mit ihrer direkten Art bringt sie Lehrer Frank schnell aus dem Konzept. Was als humoristischer Schlagabtausch zweier origineller Charaktere beginnt schraubt sich in der Aufführung von Educating Rita des AMVi-Theaters schnell zu einem großen Drama über das Wesen von Wissenschaft, Kunst und den Wert der Bildung empor.
Der Alkohol ist schuld. Als Literaturprofessor Frank Bryant beschließt einen zusätzlichen Abendkurs anzubieten, will er anfangs nur seinen steigenden Schnapskonsum decken. Doch schon seine erste Schülerin entpuppt sich als echte Herausforderung: Rita ist eine unausgelastete Friseuse mit großen Ambitionen. Mit Literatur hat die quirlige Mittzwanzigerin nicht viel am Hut und versteht auch nicht, warum sie ihre geliebten Groschenromane nicht als Sekundärquelle angeben darf. Nur langsam dringt Frank zu seiner Schülerin durch. Doch der Unterricht fordert Opfer: Um ihrem Traum vom Examen ein Stück näher zu kommen verlässt Rita ihren Mann und bricht alle Brücken zu ehemaligen Freunden ab.
Bücherattrappen im Schuhkarton
Was als einfache Klischee-Komödie beginnt, nimmt schnell Fahrt auf und steigert sich besonders im Verlauf des schnelleren zweiten Aktes zum Drama um essentielle Fragen. Das funktioniert vor allem dank Rita-Dartstellerin Carolin Strobl. Während ihre Figur vom Glitzer-Shirt zum seriösen Pullover wechselt, passt Strobl Duktus und Habitus spielerisch an Ritas steigendes Bildungslevel an. Aus der nervösen Friseuse wird die begeisterte Studentin. In Abständen von mindestens einer Woche huschen die Szenen durch einen enormen Zeitraum und bieten auch immer wieder Momentaufnahmen des sich wandelnden Schüler-Lehrer-Verhältnisses.
In dem dauernden Wechsel von Persönlichkeit und Kräfteverhältnis bildet Franks Lehrstube eine dankbare Konstante. Mit bescheidenen Mitteln wurde hier die perfekte Fassade für ein akademisches Drama errichtet. Schuhkartons werden zu Regalen, die Hälfte der Buchrücken sind Attrappe. Ein Notbehelf, der sich auch als Allegorie auf den zweiten Protagonisten lesen lässt. Franks Leben ist so improvisiert und provisorisch wie seine Büroeinrichtung. Seine Frau hat ihn verlassen, inzwischen lebt der Literaturprofessor mit einer Studentin zusammen. Seine Abende verbringt er in der Kneipe. Und auch in der Regalkulisse verstecken sich an den unmöglichsten Stellen Schnapsflaschen.
Hinter der akademischen Fassade
Im Aufeinanderprallen des desillusionierten, festgefahrenen Lehrers und seiner neugierigen, lebenslustigen Schülerin liegt die Kraft des Stücks. In bester Kammerspiel-Manier nähern sich beide langsam an, um sich schließlich das Herz auszuschütten. Spätestens hier bleibt von der verspielten Leichtigkeit der ersten Szenen nicht viel übrig. Und auch wenn die Frage des Klassenkonflikts nicht die Schlagkraft des Englands der 70er erreicht, die Autor William Russell vor Augen hatte, gelingt es Strobl und Rothenbücher die Sorgen und Probleme ihrer Figuren spürbar zu machen. Ob es dazu nötig war, die Bühne bei besonders emotionalen Monologen als „Achtung, es wird dramatisch“-Signal in orangenes Licht zu tauchen, steht auf einem anderen Blatt.
In den letzten Szenen stehen die persönlichen Konflikte im Hintergrund, hier wird das Stück noch einmal auf eine gänzlich neue Ebene gehoben. Rita und Frank werfen einen Blick hinter die Fassade der akademischen Welt und stolpern dabei über große Fragen. Wie viel muss man für die Bildung opfern? Wo verläuft die Grenze zwischen Kultur und Unterhaltung? Sollen Schüler selbstständig denken – wenn ja, wieso wollen Lehrer dann nur ihre eigene Meinung lesen? Und reicht ein Doktor in Literaturwissenschaft, um ein guter Künstler zu sein? Mit diesen Fragen entlassen die Schauspieler das Publikum in den Abend – beantwortet wird keine. Das so wendungsreiche Drama findet ein passendes offenes Ende. Nur eines scheint sicher: Für einen von beiden endet die Komödie als Tragödie.
Simon Lukas
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