Verrat, Heuchelei, Mord und Grausamkeit – dazwischen verloren, die Wahrheit und die Liebe. Ein Drama über das Alter, den Wahnsinn und die Verblendung. Ein Stück mit einer klaren Moralität: Gut gegen Böse.
All das ist „King Lear“ bei der gestrigen Premiere im ausverkauften Schauspielhaus Nürnberg. Der alt gewordene König will seine Macht und seinen Besitz zwischen den drei Töchtern und ihren Ehemännern aufteilen – um über die Anteile zu entscheiden, gibt der Vater Cordelia, Regan und Goneril die Aufgabe, ihre Liebe zu ihm in Worte zu fassen. Von seinem Liebling, der jüngsten Tochter Cordelia, erhofft King Lear sich dabei am meisten. Doch gerade sie ist es, die ihn wahnsinnig enttäuscht, da sie ihren Vater nicht mehr liebe als es die Pflicht gebietet. Der zornentbrannte König verstößt sie als Tochter und verbannt sie aus seinem Reich. Regan und Goneril erhalten seine ganze Macht und alles Land. Doch diese verraten ihren Vater bald; sie gestehen ihm nicht die vereinbarte Belegschaft von 100 Rittern zu, die den König begleiten soll, und lassen ihn vor verschlossenen Türen im Sturm stehen. King Lear irrt verloren und verlassen durch die Heide und wird wahnsinnig vor Kummer über den Verrat seiner zwei geliebten Töchter.
Rettung durch die wahre Liebe?!
Doch Cordelia, die einzige Tochter, die ihren Vater wahrhaftig geliebt hat, schickt alsbald ein Heer nach England, um das Machtstreben ihrer Schwestern aufzuhalten; sie eilt selbst ihrem König zu Hilfe. Doch die Schlacht wird verloren, Lear und Cordelia werden als Gefangene in den Kerker der Schwestern gesperrt, wo sie einige wenige Augenblicke der Versöhnung und Liebe genießen dürfen, bevor Cordelia gehängt wird. Der arme Vater stirbt vor Trauer über den Verlust ebenfalls kurz darauf. Seine beiden anderen Töchter bringen sich selbst um – die einzigen Überlebenden sind der treue Diener des Königs, der auch durch einen Verrat hinweg bei seinem Meister geblieben ist, der rechtschaffene Ehemann Gonerils und Edgar – der verratene Bruder der Nebenhandlung, der seinen boshaften unehelichen Bruder Edmund nach dem Verlust seines geliebten, geblendeten Vaters erstochen hat.
Ein Stück wie das Leben selbst
Liebe, Verrat, Treue, Täuschung, List, Betrug – um all das geht es in Shakespeares „King Lear“. Dabei steht immer der moralische Aspekt im Mittelpunkt: Wer ist gut, wer ist böse? Die Grenze ist im Stück leicht zu ziehen, genau 6 der 12 Charaktere sind gut, die andere Hälfte böse. Dazwischen gibt es zahlreiche Intrigen, Affären und Täuschungen. Erst nach und nach, in seinem Wahnsinn, kommt der verratene König zur Einsicht, was wirklich wahr ist. Zwischendurch der Ruf an die Natur und die Götter – der Glaube daran, dass alles einen Sinn hat und die Götter schon das Richtige für die Menschen tun, ist fest in den Figuren verankert. Am Ende sterben sowohl Gerechte als auch Ungerechte, und nach der Erkenntnis der Wahrheit bleiben den zuvor verblendeten Charakteren nur wenige Momente des Glücks. Shakespeares „King Lear“ ist ein Stück wie das Leben selbst. Es ist ein Drama, das nichts schönt und doch einen märchenhaften Charakter hat. Obwohl in der vorrömischen Zeit datiert, könnte die Handlung ebenso heute stattfinden – es gibt zahlreiche überzeitliche Wahrheiten, die auch heute gelten: „Sagt, was ihr fühlt, nicht, was sich gehört!“ Ganz typisch Shakespeare eben.
Durchdachte Inszenierung
Die Inszenierung von Klaus Kusenberg ist durchaus gelungen: ein schlichtes, anpassungsfähiges Bühnenbild, das zugleich die raue Erde als auch ein pompöses Königshaus darstellen kann; aufwendige Kostüme, die das Stück in die Moderne holen und in den Farben schwarz und weiß die Moralität von Gut und Böse veranschaulichen; eine perfekte musikalische Untermalung, die die Stimmung im Saal unterstützt und verstärkt; Schauspieler, die ihre Rollen authentisch verkörpern und tatsächlich fühlen. Ernsthafte Konflikte, hervorragender tragischer Stoff aufgelockert durch spitzzüngige, feine Pointen – Und doch reißt einen das Stück nicht ganz und gar mit, man vergisst als Zuschauer die Außenwelt nicht. Und so fällt auch die Zuschauerreaktion aus: Der Applaus ist lang und durchaus begeistert, aber euphorische Begeisterungsrufe, wie man sie durchaus manchmal im Theater vernimmt, bleiben aus. Die Inszenierung ist solide, sie ist gut; aber nicht atemberaubend. Dennoch ist ein Besuch lohnenswert – allein die epische Grundlage Shakespeares, die direkt aus dem Leben stammen könnte, verleitet zu einem Theatergang. Und die Inszenierung im Nürnberger Schauspielhaus ist überzeugend. Sie setzt Shakespeares Stoff sehr gut um.
Sabine Storch
Karten und weitere Informationen zu Stück und Spielzeiten findet ihr hier:
https://www.staatstheater-nuernberg.de/index.php?page=schauspiel,veranstaltung,koenig_lear,95208