Therapie auf Rädern

Kaputte Beziehungen und jetzt auch noch Regen: Wendy (Patricia Clarkson) und Darwan (Ben Kingsley) nach der Fahrstunde Bild: NFP

Kaputte Beziehungen und jetzt auch noch Regen: Wendy (Patricia Clarkson) und Darwan (Ben Kingsley) Bild: NFP

Learning to drive erzählt von zwei sehr verschiedenen, sehr unglücklichen Beziehungen in New York. Regisseurin Isabel Coixet vermarktet ihren Film als Tragikomödie, aber lustig wird er nie. Zum Glück.

Für die New Yorker Literaturkritikerin Wendy (Patricia Clarkson) bricht eine Welt zusammen. Nach über 20 Jahren hat sich ihr Mann von ihr getrennt. Um sich abzulenken beschließt sie, endlich ihren Führerschein zu machen und gerät prompt an einen Leidensgenossen. Fahrschullehrer Darwan (Ben Kingsley) hat sich als gläubiger Sikh bei der Partnerwahl auf seine Familie verlassen und ist nun an eine Frau gebunden, mit der ihn nichts verbindet. Während der langen Fahrstunden öffnen die beiden sich langsam und versuchen, ihre so verschiedenen Beziehungsprobleme zu lösen.

 

Kammerspiel im Fahrschulauto

Learning to drive basiert auf einer Kurzgeschichte, aber sobald sich die Türen des Fahrschulautos schließen, könnte es genauso gut ein Kammerspiel sein. Zurückgeworfen auf seine beiden so verschiedenen Protagonisten funktioniert der Film am besten. Hier lässt die Regisseurin gekonnt Charaktere, Kulturen und Wertsysteme aufeinanderprallen und macht deutlich: Bei manchen Problemen gibt es keine einfachen Antworten. Für Wendy wird jede Fahrstunde zur Therapie, immer wieder tauchen dabei Menschen aus ihrer Vergangenheit auf. Aber auch der schweigsame Darwan gibt immer mehr von sich preis.

Neben diesen intimen Momenten, wirkt der Rassismus der amerikanischen Gesellschaft als zweiter Problemherd etwas aufgesetzt. Immer wieder wird Darwan von Passanten angepöbelt, weil sie ihn mit seinem Turban für einen Moslem halten. Und bei Kontrollen steht er sofort unter Terrorverdacht. „Woher kommst du wirklich?“, schnauzt ihn ein Polizist an, als er ihm seinen Ausweis zeigt. So politisch wichtig diese Szenen sein mögen, im Film kratzen sie nur an der Oberfläche und lenken vom eigentlichen Drama ab. Und besonders, wenn die spannende Hintergrundgeschichte von Darwans Mitbewohner plötzlich im Sand verläuft, wird deutlich, dass es hier nur darum ging, beim Zuschauer Mitleidspunkte für den Fahrlehrer zu sammeln.

 

Durchhalten als Motto

Ein so intensiver Film steht und fällt mit den Schauspielern. Patricia Clarkson zeigt die tiefe Verletzlichkeit der verlassenen Wendy in jeder Szene. Durch die Trennung ist ihr ganzes bisheriges Leben aus den Fugen geraten, sie muss ihr geliebtes Haus verkaufen und fürchtet auch den Kontakt zu ihrer erwachsenen Tochter zu verlieren. Mit aller Macht klammert sie sich an die Reste ihrer zerfallenden Welt. Der Führerschein ist für sie die Flucht nach vorn. Hier kann sie endlich selbst das Steuer in die Hand nehmen. Ben Kingsley spielt Darwan als in sich ruhenden Gegenpol. Der Brite stellt erneut seinen aus Ghandi bekannten indischen Akzent unter Beweis und schafft es, mit einem Minimum an Mimik tiefe Gefühle auszudrücken. Wo Wendy aktiv wird, hat er sich aufs Durchhalten spezialisiert. Egal, ob er von Passanten beschimpft oder von seiner Frau angeschrien wird, Darwan reagiert mit stoischer Gelassenheit. Das ist dramaturgisch konsequent, wird aber mit der Zeit ein bisschen langweilig. So ist die spannendste Szene des Films schließlich die, in der er die Fassung verliert und man endlich einen Blick hinter die so sorgfältig gehütete Fassade werfen kann.

Erstaunlich lange traut sich Coixet, die Tragik der Figuren aufrechtzuerhalten. In allen schmerzhaften Einzelheiten arbeitet sie die Probleme von Wendys Scheidung und Darwans Ehe heraus. So wirkt die optimistische Grundstimmung, auf der der Film schließlich ausklingt, aufgesetzt – auch wenn uns die allzu offensichtliche Happyend-Lösung erspart bleibt. Besonders Darwans Krise scheint noch lange nicht ausgestanden. Für ihn schwingt der Tragikomödien-Seismograph eindeutig in Richtung Tragödie. Es ist dieser Mut zum ehrlichen Umgang mit ungelösten Konflikten, der Learning to drive bei allen Problemen sehenswert macht.

Simon Lukas

Lamm-Lichtspiele

Donnerstag, 27. August bis Mittwoch, 2. September

Täglich 18:15 Uhr

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