Ein Prinz zu Ross und im Rollstuhl

Foto: Lena Obst

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Mit einer bis ins kleinste Detail durchdachten Inszenierung von Kleists letztem Stück Prinz Friedrich von Homburg beschließt das Staatstheater Darmstadt die Werkschau des Autors am Theater Erlangen.

Ich-Verlust, die Suche nach der Wahrheit und der immerwährende Konflikt zwischen militärischer Treue zum Vaterland und Fremdbestimmung: Das Stück der Regisseurin Juliane Kann erweitert das Spektrum der kleistschen Themen im Rahmen der Werkschau um eine weitere tragende Facette. Gerade wenn man sich bewusst macht, dass Kleist, der seine Armeekarriere aus moralischen Gründen an den Nagel hängte, dieses Drama kurz vor seinem Freitod schrieb, erscheint der hier auf allen Ebenen entfaltete Konflikt der Machtlosigkeit und der militärischen Zwänge geradezu biographisch.

Todesstrafe für den Sieger

Die Inszenierung zeichnet in guten 90 Minuten das Schicksal des Prinzen von Homburg nach, das sowohl ihn als auch seinen Kurfürsten und seine ganze Entourage in ein moralisches Dilemma stürzt. Aufgrund einer kleinen Unachtsamkeit bei der Lagebesprechung überhört der Prinz den Befehl seines Herren, in der Schlacht erst auf sein ausdrückliches Kommando hin anzugreifen. So reitet er auf eigene Faust in den Kampf und kehrt auch siegreich wieder, allerdings hat er genau genommen gegen geltendes Kriegsrecht verstoßen. Und so genau nimmt es der Kurfürst auch. Er fordert die Todesstrafe für den Kriegshelden, sieht er sich doch gezwungen, die Gesetze seines Landes durchzusetzen, sodass Gesetzesverstöße nicht zum Regelfall werden. Das erste Mal prallen Gewissen und Staatsräson aufeinander. Erneut ist dies der Fall als seine Nichte Nathalie, die sich noch im Kerker mit dem Prinzen verlobt, ihren Oheim zu einer Begnadigung überreden kann, wenn der Prinz unterzeichne, er fände das Urteil ungerecht. Zuvor noch voller Todesangst, kann Homburg aber keine unrechte Handlung in der Vollstreckung seines Todesurteils erkennen und untersagt die Unterschrift. Er hat einen Befehl seines Herren missachtet und erwartet nun die gerecht Strafe dafür.

Alle aus demselben Holz geschnitzt

Die Idee des Falls eines Helden, das starre Korsett der militärischen Ordnung, die das gerade geeinte Reich zusammenhält, und die Ohnmacht des Titelhelden, all das transportiert die Inszenierung über alle ihr zu Verfügung stehenden Mittel. Das Bühnenbild frisst sich in die Kostüme der Schauspieler und verwurzelt sie so fest im hölzernen Boden, aus dem die Umrisse des Vaterlandes herausgearbeitet werden. Der Einzige, der nicht durch diese Maserung mit dem Land verbunden ist, ist von Anfang an der Prinz und jede Figur, die sich auf seine Seite schlägt, befreit sich von ihr. Darüber hinaus spricht Homburg allein in einer ruhigen, angenehmen und weniger theatralen Stimme, sodass gerade die Unterhaltungen zwischen ihm und seinem Vertrauten Hohenzollern und seine Monologe sehr vertraut und intim erscheinen. Das restliche Ensemble spricht, agiert dagegen eher holzschnittartig.

Ein Symbol der Fremdbestimmung

Am deutlichsten verkörpert der Prinz selbst aber seine Lage. Gespielt wird die Hauptrolle nämlich von Samuel Koch, der nach seinem Unfall bei „Wetten dass…?“ seine Schauspielausbildung beendet hat und am Darmstädter Theater seine erste Festanstellung antritt. Zunächst sitzt er hoch zu Ross als strahlender Kriegsheld mit goldenem Gesicht und doch steif und in ein Gerüst geschnallt. Im Laufe des Dramas sinkt er ebenso wie seine Rolle immer tiefer hinab. Sein Schatten, der zu Beginn noch seine Handlungen für ihn ausführte, verlässt ihn und im Kerker wird er vom Ensemble auf den nackten Boden gelegt. Die Querschnittslähmung des Schauspielers wird damit nie in den Mittelpunkt gerückt, sondern avanciert zum treffenden Symbol für die Machtlosigkeit des Prinzen. Erst als dieser seine erste eigene Entscheidung trifft und den Tod wählt, absolviert Koch seinen letzten Auftritt beweglich und ohne fremde Hilfe im Rollstuhl.

Alles nur geträumt?

Doch wie endet das Drama? Siegt Gehorsam oder Menschlichkeit? Kleist wäre nicht Kleist, wenn er eine klare Antwort auf diese Frage zuließe. Zuletzt bekommt Homburg eine Lorbeerkrone aufgesetzt und es bleibt erneut eine Frage im Raum zurück, die alles Geschehen in die Schwebe rückt: War alles nur „Ein Traum, was sonst?“

Kathrin Penk

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