„Jede Anzahl ist ein Schock“

Daniel Seniuk, Hermann Große-Berg Foto: Jochen Quast

Daniel Seniuk, Hermann Große-Berg
Foto: Jochen Quast

Ein Vater führt seinen Sohn in die Geheimnisse des Rasierens ein – eine alltägliche Szene. Nur, dass es von diesem Sohn zwanzig gibt, weil er ein Klon ist. Dass deswegen sowohl Vater als auch Sohn gezwungen sind, Fragen nach Original und Kopie zu stellen, herauszufinden versuchen, was Identität bedeutet. Caryl Churchill wirft in ihrem Drama „Die Kopien“ (Originaltitel: A Number) abseits von moralapostolischen Plädoyers die Fragen auf, die sich im Zeitalter technologischer Reproduktionsmöglichkeiten unwillkürlich aufdrängen. Katja Blaszkiewitz gelingt es in ihrer Inszenierung, die vergangenen Samstag in der Erlanger Garage Premiere feierte, diese Fragehaltung auf verschiedenen Ebenen an den Zuschauer weiterzugeben.

Bernard hat erfahren, dass er sich als Klon in eine Serie seiner selbst einreiht und möchte von seinem Vater Salter wissen, wie es dazu gekommen ist. Salter streitet zunächst ab, überhaupt von den Kopien zu wissen, verstrickt sich aber immer mehr in Widersprüche. Es stellt sich heraus, dass Salters Frau Selbstmord begangen hat, bevor Bernard existierte, dass es einen anderen Sohn namens Bernard gibt, von dem Salter nach eigener Aussage eine Kopie erstellen lassen wollte, stattdessen aber neunzehn Klone entstanden sind. Der andere Bernard taucht ebenfalls auf und beklagt seine Kindheit, von der er die ersten vier Jahre bei Salter erlebt hat, der damals Alkoholiker war. Er bringt seinen jüngeren Klonbruder schließlich um. Am Ende erscheint ein weiterer Klon namens Michael Black, der Klonen für etwas hält, „das jeden fasziniert“ und es geradezu witzig findet, dass der Mensch 95 Prozent seines genetischen Materials mit Schimpansen teilt, ja sogar 30 Prozent mit Salatköpfen.

Die Salatköpfe rollen über die Bühne. Zunächst vereinzelt, dann immer mehr. In einem der Übergänge zwischen den Szenen sieht man einen der Klone einen Salatkopf zerrupfen und essen. Er ist nur schemenhaft und in einer Art Projektion erkennbar, die durch die in Streben geteilte Wand durchscheint. In einer anderen Projektionliegt er im Bett, an der Hand einen Schimpansen. Er scheint allerdings vielmehr in der Senkrechten zu liegen statt in der Horizontalen.An der Wand im Hintergrund reihen sich Karomuster aneinander, die sich im gesamten Bühnenbild überall wiederfinden: Auf dem Teppich in Salters Wohnung, auf einer Wolldecke, die Salter sich zwischenzeitlich über den Kopf zieht und auf den Hemden von Bernard 1 und 2. Die Kleidung von Michael Black ist nur noch farblich angepasst, kein deutliches Karomuster ziert mehr sein Hemd.

Die Fragen nach Identität und Ähnlichkeit, nach dem Besonderen des Individuums, aber auch nach dem Besonderen des Menschen überhaupt werden so nicht nur vordergründig im Dialog gestellt, sondern sind in subtiler Weise omnipräsent. Die Verkehrung des Gewöhnlichen, die mit einem möglichen Orientierungsverlust einhergeht, wird in der Räumlichkeit widergespiegelt.

Der Zuschauer erlebt außerdem die Orientierungsschwierigkeiten mit, die auch Salter zu haben scheint, wenn einer der Söhne zur Tür hereinkommt und sich in einem kurzen Moment der Unsicherheit die Frage stellt, um wen es sich handelt; ob er bereits auf der Bühne erschienen ist, oder zum ersten Mal auftaucht. Alle drei Versionen werden gespielt von Daniel Seniuk, dem es überzeugend gelingt, ihnen dann doch unterschiedliche Identitäten zu geben, sie trotz fast identischem Aussehen mit verschiedenen Charakteren zu versehen.

Identisch scheinen sie also nicht zu sein und wenn Bernard seinem Vater erklärt, dass er mit anderen Genen möglicherweise kein Alkoholiker geworden wäre, dann fragt man sich, ob es überhaupt einen Unterschied gibt zwischen der Frage nach seinem Selbst und dem seiner Söhne. Das deutet sich auch an, wenn Salter selbst Schwierigkeiten hat, seine eigene Identität zu erzählen, verschiedene Versionen

Hermann Große-Berg, Daniel Seniuk  Foto: Jochen Quast

Hermann Große-Berg, Daniel Seniuk
Foto: Jochen Quast

seiner Vergangenheit anbietet, sie sich teilweise von seinem Sohn in den Mund legen lässt. Wenn Hermann Große-Berg einen Salter zeigt, der sich in seiner Verlegenheit immer wieder räuspert, Worte sucht, das Gespräch stocken lässt.

Am Ende des Stückes steht wieder eine Rasierszene. Diesmal wird Salter rasiert – von allen drei auf der Bühne erschienen Exemplaren gleichzeitig. Es liegt eine gewisse Unheimlichkeit in der Luft, die das ganze Stück hindurch hintergründig präsent war, unterstützt durch die musikalische Untermalung in den Übergängen.

Diese Unheimlichkeit lässt sich allerdings nicht durch eine einseitig ablehnende mit der Moralkeule transportierte Haltung gegen Klonen überhaupt auflösen. Vielmehr zeigt die Inszenierung überzeugend, wie die Frage nach dem Klonen die Frage nach der Identitätsfindung eines jeden Menschen explizit macht – und zwingt den Zuschauer auch auf emotionaler Ebene dazu, sich damit auseinanderzusetzen.

Vera Podskalsky

 

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