„Gone Girl“: Jetzt im Kino

Gone Girl © 20th Century Fox

Gone Girl © 20th Century Fox

Gnadenlos, doppelbödig und ungreifbar ist David Finchers neuer Thriller „Gone Girl“: An ihrem fünften Hochzeitstag verschwindet die bezaubernde Amazing Amy (Rosamund Pike), offenbar gewaltsam, schnell gerät ihr Ehemann Nick (Ben Affleck) ins Visier der Ermittler. Doch was als klassischer Krimi um eine vermisste Frau beginnt, dreht, wendet und erwächst sich Zug um Zug zu einem schonungslosen, überraschenden und verstörenden Psychothriller.

Die schöne Amy ist von Kindheit an ein Star: Als reale Vorlage für die fiktionalen Abenteuer der Kinderbuchreihe Amazing Amy. Die eigene schriftstellerische Karriere hingegen, ebenso wie die ihres Ehemanns Nick, gerät ins Stocken, mit der Krankheit von Nicks Mutter landet das Traumpaar aus New York endgültig in der Provinz: North Carthage, Missouri. Amys Verschwinden, ausgerechnet am Morgen des Hochzeitstags, für die örtliche Polizei umso mehr Anlass, Nick genauer ins Visier zu nehmen. Und egal wie sehr dieser seine Unschuld beteuert, liefert er doch Ungereimheiten und Verdachtsmomente am laufenden Band: Luxuskäufe mit den Kreditkarten seiner Ehefrau, drückende Schulden, eine hohe Lebensversicherung auf Amys Namen. Als die Polizei Amys geheimes Tagebuch entdeckt, in welchem sie von ihrer Angst vor dem eigenen Ehemann schreibt, scheint Nicks Schuld bewiesen. Trotzdem geht er, unterstützt durch einen Star-Anwalt, zum Gegenangriff über, und versucht, Polizei und öffentliche Meinung von seiner Unschuld zu überzeugen.

Das fintenreiche Drehbuch stammt von Gillian Flynn, die auch mit der Romanvorlage 2012 einen veritablen Bestseller ablieferte und ihren Durchbruch feierte. Mit Sieben, Zodiac und Verblendung hat sich Regisseur David Fincher dagegen längst als Meister seines Fachs bewiesen, wie kaum ein anderer beherrscht er die volle Klaviatur des filmischen Erzählens, und kommt auch bei Gone Girl in kurzweiligen zweieinhalb Stunden und einer virtuosen Komposition aus Krimi, subversiver Komödie und Satire nicht einen Moment aus dem Tritt. Spätestens seit The Social Network ist Fincher auch ein stets heißer OSCAR-Anwärter — der am Ende doch leer ausgeht. Grund dafür dürfte sein treffsicherer Spürsinn für Geschichten sein, die er eingängig und mitreißend erzählt, die aber doch gerade so provokant und unkonventionell bleiben, um nur durch Starbesetzung und makellose Handwerklichkeit nicht aus dem Mainstream-Raster zu fallen. Für eben diesen Drahtseilakt ist Gone Girl ein neuerliches Parade-Beispiel.

„Ich habe mich für Gillians Verständnis von Narzissmus interessiert, insbesondere den Narzissmus in Paar-Beziehungen“, verrät der Regisseur. „Diese Vorstellung, dass eine Person das Gefühl hat, sie verdiene eine bestimmte Art Partner, und den Grad zu dem jemand eine Fassade aufbaut, um eine andere Person für sich zu gewinnen, deren Fassade kompatibel erscheint.“ Irgendwann durchschaut man einander oder verliert den Willen den eigenen Anteil der Illusion aufrecht zu erhalten. Ein unbequemer, garstiger Film, perfekt inszeniert, entlarvend und schockierend brutal.

Aus gutem Grund führt Ben Affleck das ausgezeichnete Ensemble dieser Geschichte an: Als stellvertretender Über-Jedermann mit vermeintlicher Vorzeige-Ehe. Entscheidend für Fincher war auch Afflecks persönliche Erfahrung mit dem Wirbelwind der modernen People-Medien: Die ihn gemeinsam mit Matt Damon und Good Will Hunting zum Shooting Star machten, mit Jennifer Lopez zum Hollywood-Traumpaar, und danach den Niedergang zelebrierten — eine Erfahrung, die Affleck mit seiner Figur Nick Dunne teilt, die durch die öffentliche Meinung als argloser Ehemann bedauert und ebenso schnell als eiskalter Mörder gebrandmarkt wird. Seine noch weitgehend unbekannte Darstellerin Rosamund Pike beschreibt Fincher als ‚undurchsichtig‘; eine Schauspielerin, die ohne den Ballast und ohne eine Meta-Persönlichkeit früherer großer Rollen antritt und dem Zuschauer damit die perfekte, blendende, trügerische Projektionsfläche für das eindrückliche Verwirrspiel um Betrug und Selbstbetrug, Schuld und Mitschuld bietet.

Fincher liebt Filme, die Narben hinterlassen. Seit Spielbergs Der Weiße Hai sei er nicht mehr im Ozean geschwommen. Gone Girl ist Finchers eigener „Weißer Hai“: gemünzt auf Paar-Beziehungen.

Andreas Pohr

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