
Coveransicht. Siehe unter: http://www.randomhouse.de/Paperback/Das-Zeitalter-der-Erkenntnis/Eric-Kandel/e441272.rhd
Es ist seit heute auch beim Pantheon-Verlag erhältlich und günstiger als bisher: Das Buch „Das Zeitalter der Erkenntnis“ von Eric Kandel genießt seit seiner Veröffentlichung im Jahr 2012 eine breite Aufmerksamkeit. Es liest sich wie eine Liebeserklärung an Kandels Geburtstadt Wien, insbesondere an die Zeit zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, in der sie sowohl aus künstlerischer als auch aus wissenschaftlicher Perspektive zu den avantgardistischsten Städte Europas zählte. Eric Kandel, der für seine Erkenntnisse in der Gedächtnisforschung im Jahr 2000 mit dem Nobelpreis für Medizin geehrt wurde, verbindet in einem geschichtlichen Abriss sein wissenschaftliches Interesse an der Wahrnehmungspsychologie mit seiner Leidenschaft für Kunstgeschichte und legt somit den Grundstein für eine Neuroästhetik. So entsteht ein Plädoyer für eine interdisziplinäre Forschung, die ganz im Sinne des regen Wissensaustausches steht, den Kandel in seiner präferierten Epoche zwischen Künstlern und Wissenschaftlern sieht.
Kandel wählt für sein Buch eine Sprache, die, ebenso wie sein Zugang, sowohl wissenschaftlich als auch bildhaft ist. Dem erzählerischen und unterhaltsamen ersten Teil des Buches, in dem der Leser in die Werke von Gustav Klimt, Egon Schiele, Oskar Kokoschka, Sigmund Freud und Athur Schnitzler eingeführt wird, folgt ein Abschnitt, der die wissenschaftlichen Zusammenhänge der Bildbetrachtung erläutert. Es geht um biologische als auch um wahrnehmungspsychologische Aspekte, aus denen im Zusammenhang mit dem ersten Teil deutlich wird, in wiefern sich die Künstler nicht nur in der äußerlichen Bildgestaltung von der Wissenschaft inspirieren ließen, sondern auch, und das eher unbewusst, beim Betrachter eine im Vergleich zu früheren Gemälden erhöhte Hirnaktivität auslösen- was mit der Art und Weise der Bildgestaltung zu erklären ist, auf die Kandel genau eingeht.
Auf lehrreiche und unterhaltsame Art und Weise wird der Leser, auch mithilfe zahlreicher anschaulicher Grafiken, an die wissenschaftlichen Komplexe der menschlichen Wahrnehmung herangeführt – wobei immer wieder auf die Kunstwerke der präferierten Epoche eingegangen wird. Kunsthistorisch beruft sich der studierte Historiker, Literaturwissenschaftler und Mediziner hauptsächlich auf die Werke von Ernst Gombrich und Ernst Kris, die sich sehr intensiv, neben der Kunst des Wiener Sezssionismus und Expressionismus, auch mit dem Werk Freuds befassten. Dabei fällt auf, wie viel Kandel selbst von der Kunst und die Künstler weiß, über die er schreibt. Der Blickwinkel, den er wählt, mag anhand der drei Namen, denen er sich hauptsächlich zuwendet, zuerst etwas begrenzt erscheinen, doch wird beim Lesen schnell ersichtlich, dass er über diese hinaus auf viele andere Instanzen und Gemälde eingeht, die in ihrer Gesamtheit ein genaues Bild über die behandelte Zeit geben.
Kandels Plädoyer für eine Neuroästhetik könnte tatsächlich auf fruchtbaren Boden fallen. Die Erforschung der Wahrnehmungspsychologie in Zusammenhang mit Ästhetik birgt von wirtschaftlicher wie auch von wissenschaftlicher Seite ein großes Potential und wird schon seit Jahren von unterschiedlichen Institutionen auf eigene Art erforscht. Allein in Erlangen, um ein Beispiel aus nächster Nähe heranzuziehen, wurde vor zwei Jahren eine wissenschaftliche Studie unter dem Titel „Wie verändert Kunst unser Gehirn“ vom Psychogerontologischen Insititut ausgerichtet, in denen Probanden einen Kunstkurs absolvierten und zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf ihre künstlerische Geschicklichkeit und Kreativität getestet wurden. Ein auf lange Sicht wissenschaftlicher Austausch zwischen Kunsthistorikern, Künstlern und Wissenschaftlern könnte, so Kandel, dazu führen, dass das Wesen der Kreativität, dessen Besonderheiten auch aus medizinischer Sicht noch nicht vollständig geklärt sind, besser verstanden und gefördert werden könnte – wovon auch andere Disziplinen profitieren würden.
Neben den wissenschaftlichen Anstößen erweitert und verändert das Buch „Das Zeitalter der Erkenntnis“ die Sichtweise auf die Kunst und auch auf das eigene Gehirn, indem es erstaunliche Zusammenhänge aufdeckt. Schon alleine aus diesem Grund lohnt es sich, das Buch zu lesen.
Eric Kandel: Das Zeitalter der Erkenntnis. Die Erforschung des Unterbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute. Pantheon-Verlag, Verlagsgruppe Randomhouse 2014. 703 S., € 19,99, ISBN: 978-3-570-55241-4
Mehr Informationen: http://www.randomhouse.de/Paperback/Das-Zeitalter-der-Erkenntnis/Eric-Kandel/e441272.rhd
Anna Greger