Fanatisch Verehrte, verehrte Fanatische

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Lionel (Christian Wincierz) und Johanna (Violetta Zupančič). Foto: © Ludwig Olah

 

Schwarz zeichnet sich die Silhouette einer Frau vor dem weißen Licht des Scheinwerfers ab. Kunstrauch, der an Nebel erinnert, wabert um sie herum. Der Rest der Bühne verschwindet in ungewisser Dunkelheit. Wo beginnt, wo endet die Bühne? Durch den Rauch und das Licht entsteht die Illusion von unermesslicher Tiefe und Weite. Vogelgezwitscher ist zu hören. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, dass hinter dem feinen Nebel ein Wald beginnt. Vielleicht auch Felder? Ein ländliches Dorf? Die Antwort überlässt Regisseur Thomas Krupa der Fantasie jedes einzelnen Zuschauers. Er sorgt dafür, dass aller Augen sich auf jene Frau richten, die in dieser Szene wie von einem Heiligenschein umgeben scheint: „Die Jungfrau von Orleans“.


Johanna heißt das Hirtenmädchen, das von der Mutter Gottes den Auftrag bekommen hat, Frankreich zum Sieg zu führen. Nun, das kommt nicht gerade alle Tage vor. Der Dauphin zweifelt anfangs ebenso wie seine Berater. Ist sie eine Fanatikerin, Wahnsinnige oder Hochstaplerin? Er unterzieht sie einem Test. Ein anderer nimmt seinen Platz ein, während er sich unter die Untertanen mischt. Johanna geht ohne zu zögern auf ihn zu. Mehr noch: Sie weiß, welche Gebete er an Gott gerichtet hat. Von diesem Moment an wird sie von den Franzosen verehrt wie eine Heilige.

 

Die Sonne, um die alles kreist

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Johanna, die Verehrte. Foto: © Ludwig Olah

Violetta Zupančič spielt die Hauptfigur von Friedrich Schillers Drama mit allen Zwischentönen: Von fanatisch bis heilig. Die Schauspielerin macht für das Publikum am 26. September im Theater Erlangen sichtbar, was in Johanna vorgeht. Sie zeigt eine unglaublich selbstbewusste, wild entschlossene Frau, die in ihrer Ausstrahlung männlicher wirkt als all die sie umringenden Männer. Sie ist der Feldherr, der unbeirrt das Heer in die Schlacht führt und die Engländer vernichtend schlägt. Zuweilen ist sie unerbittlich, beinahe herzlos und tötet englische Feinde, ohne mit der Wimper zu zucken. „Dieser Panzer deckt kein Herz“, sind ihre Worte. Ist sie noch ein Mensch, ein Vorbild, die Heilige, als die sie verehrt wird? Was unterscheidet sie von einer Kriegsmaschine? So fanatisch gleicht sie eher den IS-Terroristen, die ebenfalls im Namen Gottes morden. Doch dann zeigt Zupančič eine andere Seite von Johanna. Sie verliebt sich in Lionel (Christian Wincierz), einen Feind, und kann ihn nicht töten. Zweifel zerfressen sie, Schuldgefühle sprechen aus ihrem Blick. Plötzlich ist sie nur noch das Hirtenmädchen, dem eine riesengroße Aufgabe aufgebürdet wurde.

In Thomas Krupas Inszenierung ist die Hauptdarstellerin die Sonne, um die alles kreist. Gerade durch den Verzicht auf Requisiten und den gezielten Einsatz von Licht in verschiedenen Varianten gibt es keine Ablenkung von der großartigen schauspielerischen Leistung Zupančičs und des gesamten Ensembles. Der Originaltext von Schiller kommt dadurch noch besser zur Geltung. Die Worte, die gesprochen werden, erhalten viel mehr Gewicht. Sei es, als der König (Steffen Riekers) Johanna befiehlt: „Entscheide du, ob Krieg sei oder Frieden“ oder als Johanna über den englischen Anführer Lionel sagt: „Mit einem Blick fing dein Verbrechen an.“ Ein Mädchen, angestrahlt von ein wenig Licht, umgeben von uferloser Dunkelheit – das ist die Jungfrau von Orleans in Erlangen.

Patricia Achter

Weitere Vorstellungen im Markgrafentheater Erlangen:
05.10.2014
06.10.2014
19.10.2014
20.10.2014
08.11.2014
09.11.2014

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