Wo man in Erlangen das Spiel des 1. FC Köln sehen könne – diese Frage habe sie Navid Kermani am heutigen Tag auf dem Poetenfest stellen hören, lässt Moderatorin Maike Albath einleitend verlauten. Nun hat eine Einleitung für gewöhnlich einen Zusammenhang zur eingeleiteten Veranstaltung. Und der lässt sich hier, entgegen der ersten Vermutung, durchaus herstellen: Ähnlich unklar und unreflektiert, außerdem holprig wie der Konjunktiv 1 im Erlebnisbericht, bleibt die Moderation des gesamten Samstagabends. Dadurch verliert das Autorenporträt mit einem nicht nur bekannten, sondern auch vielseitigen und keinesfalls oberflächlichen Autor leider an Tiefgang und Attraktivität.
Multi-ethnisch, multi-religiös, multi-kulturell – um viele Gebildeten-Komposita, deren erste Hälfte aus „multi“ besteht, zieht sich die erste halbe Stunde des Abends in die Länge. Albath wiederholt die eingangs aufgestellte These Kermanis, dass der Normalfall einer Kultur eigentlich das Nebeneinander vieler Kulturen sei und Deutschland hier aufgrund der beiden Weltkriege eine Besonderheit darstelle, in diversen Formulierungen. Ihrer eigentlichen Aufgabe, Fragen zu stellen, kommt sie dagegen selten nach. So stellt die erste Lesesequenz eine Erleichterung für alle Beteiligten dar.
Der habilitierte Orientalist beginnt die Lesung mit dem Anfang seines neuen Romans „Große Liebe“ (zur Rezension auf reflex geht´s hier), der einen unwillkürlich schmunzeln lässt und die ganz besondere mystisch und gleichzeitig realistische Stimmung des Textes ankündigt:
Ein König reist durch das Land, in seinem Gefolge Minister, Generäle, Soldaten, Beamte, Diener und die Damen seines Harems. Am Wegrand sieht er einen alten zerlumpten Mann kauern, einen Narren vielleicht. „Na, du würdest wohl auch gerne ich sein“, ruft der König spöttisch von seinem Elefanten herab. „Nein“, antwortet der Alte, „ich möchte nicht ich sein.“
Und als Kermani liest, scheint er noch einmal in diese ganz eigene Welt, die der Text eröffnet, einzutauchen und das Publikum dorthin mitnehmen zu wollen. Das gelingt aufgrund der Altersstruktur der Zuhörerschaft nicht ganz: „Lauter“, rufen einige, die Atmosphäre scheint ein wenig gestört. Allerdings lässt er sich nicht beirren, bleibt in der von ihm geschaffenen Welt und berichtet im Anschluss mit Begeisterung und augenzwinkerndem Humor von der Entstehung des Romans: Dass die beschriebene Kleinstadt durchaus Ähnlichkeiten mit seiner Heimatstadt Siegen aufweise. Wie er auf die Anekdote des Königs gestoßen sei und gewusst habe, dass er sie literarisch verarbeiten müsse. Dass es darum gehe, diese ganz besondere erste Liebe in all ihren Extremen ernst zu nehmen. Und dass er mit den Einschüben aus arabischen Mythen ein kulturelles Erbe erhalten wolle, das leider selbst in den Herkunftsländern kaum noch bekannt sei.
Am Ende geht es um Kermanis Arbeit als Reporter. Mehrfach hat er die „Welt hinter Lampedusa“ bereist, 2013 ist eine Sammlung seiner Reportagen erschienen: „Ausnahmezustand. Reisen in eine beunruhigte Welt“. Als Maike Albath fragt, ob er sich wohl fühle in seiner Rolle als Vermittler zwischen der arabischen und der westlichen Welt, macht der iranisch-stämmige Autor offen deutlich, wie sehr ihn diese Frage irritiert, und weist darauf hin, dass man sich als Berichterstatter in Krisengebieten selten „wohl fühle“. Sein Anliegen sei hingegen, auf die Komplexität der Situation und auf die zahlreichen Widersprüchlichkeiten, die ihm dort immer wieder begegneten, hinzuweisen. Er kehre mit mehr Fragen zurück als er vorher gehabt habe und die gebe er weiter – Eine Erfahrung, die man auch der Moderatorin gewünscht hätte…
Vera Podskalsky