Die Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin soll saniert werden. Sehr gut!
Zum einen, weil das Bauwerk von Ludwig Mies van der Rohe wirklich schon in die Jahre gekommen ist. Zum anderen, weil dieser Renovierungsplan eine fabelhafte Idee hervorbrachte. Der Kunstbeirat der Kunsthalle Würth und die Angestellten ließen aus dieser Idee mit Begeisterung und trotz reichlichen Aufwandes Wirklichkeit werden. Im Frühjahr 2014 versandte die Nationalgalerie Berlin 200 Werke von 90 Künstlern nach Schwäbisch Hall. Dem Besucher der Kunsthalle Würth öffnet sich nun eine glänzende, beeindruckende Schatzkammer. Eine Sammlung der Superlative.
Moderne Zeiten ist eine Ausstellung von Gemälden und Skulpturen aus der Zeit von 1900 bis 1945. Die Werke vieler bekannter Künstler, wie Ernst Ludwig Kirchner, Emil Nolde, Oskar Kokoschka, Edvard Munch, Max Pechstein, Otto Dix, Wassily Kandinsky, Paul Klee und Pablo Picasso sind zu besichtigen. Aber auch Maler wie Lotte Laserstein, Karl Schmidt-Rotluff und Hans Grundig haben mit ihren Gemälden Interessantes zu sagen.
Der Rundgang beginnt. Im ersten Raum bringt Ernst Ludwig Kirchner mit seinem Bild Potsdamer Platz 1914, das letzte der Großstadtbilderserie, seine Sichtweise einer „aus den Fugen geratenen Welt“ zum Ausdruck. Damit knüpft er an Gespräche an, in denen er den Wandel der Werte und die „Schiefe der Welt“ – noch vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges – anmahnen wollte. Auf dem Gemälde zeigt die Uhr kurz nach Mitternacht. Es wandeln elegante Witwen und maskierte Huren. Freier eilen, mit schief abgewinkelten Beinen, auf sie zu – Kirchners Faszination und Abwendung vom käuflichen Berlin dieser Zeit. Waren dies erste Gedanken, die einen späteren Umzug in die ruhige Bergwelt von Davos einleiteten? Wie sehr er dort Ruhe und unberührte Landschaft suchte, zeigen seine Gemälde Zwei weibliche Akte in Landschaft und Wiesenblume und Katze. Hier entwickelte Kirchner eine neue Farbigkeit und arbeitete konzentriert an der Stilisierung von Formen. Die skizzenartige Darstellung früherer Werke wurde Vergangenheit.
Daneben gruppiert, erzählen Max Pechsteins Sitzendes Mädchen (Moritzburg) und Sommer in den Dünen und Kirchners Badende am Strand von den Geburtsjahren der Moderne. Lebensbejahung, das Entdecken der neuen Lebenslust und das Verlangen nach neuen Wegen zeichnen sich deutlich in ihren Gemälden ab. Eine offene Abgrenzung zu Vorbestehendem, zum Starren.
Ausstellung benannt nach Charlie Chaplins Film
Eine Leinwand am Ende des ersten Saals zeigt Ausschnitte von Charlie Chaplins Film Moderne Zeiten. Dieser, die Arbeitswelt der dreißiger Jahre kritisierende Film war Namensgeber für die Ausstellung der Kunsthalle Würth. Der Besucher soll an Zeiten und deren Wandel denken, nicht nur an die banale Zeit, die mit einer Uhr messbar wäre. Reflexion, Kunst und Kultur als zeitgebende und trotzdem zeitlose Darstellung des beginnenden 19. Jahrhunderts.
Ich betrete den nächsten Saal. Porträts hängen dicht gedrängt an allen Seiten des Raumes. Otto Nagel, Max Pechstein, Corinth, Erich Heckel, Otto Nagel, Georg Tappert, Robert Delaunay sind Namen, die ich als erstes lese. Dann noch mehr Namen. Eine Fülle von Augen-Blicken. Etwas ist allen Gemälden gemeinsam: Man möchte mehr über die Maler und deren Modelle wissen.
Im folgenden Saal erwartet mich Gegensätzliches. Eine „betont emotionsfreie Wirklichkeit, ungeschönt und alltäglich; die neue Sachlichkeit in der Malerei“ lese ich auf der aufgestellten Schautafel. Nach den Erfahrungen des ersten Weltkrieges folgte eine allgemeine Ernüchterung. Viele Künstler setzten sich nun zum Ziel, das Profane im Leben ohne Emotion darzustellen. Fritz Burrmanns Stillleben mit Kaktus und Alexander Kanoldts Stillleben, welcheseigentlich als ‚Gummibaum des kleinen Mannes‘ zu titulieren wäre, zeigen alltägliche Situationen sachlich und distanziert. Objektivität in der Betrachtung?
Georg Schimpfs Zwei Mädchen am Fenster von 1937 leiten zum nächsten Thema „Die verlorene Generation“ über. Im Mittelpunkt des Raumes hängt ein Bild von der wiederentdeckten Malerin Lotte Laserstein. Mit Abend über Potsdam schuf sie 1930 mehr als ein Bild. Es ist die Darstellung der ungewissen Zeit. Bedrohliches kündigt sich an. An einem Tisch sitzen wie bei da Vinci Abendmahlsszenen Menschen zusammen. Ein Mann sinniert träumend, einer anderer blickt ratlos. Ein kärgliches Mahl, das Brot ist gebrochen. Wein wird nachgeschenkt, man blickt auf Potsdam. Laserstein setzt eine junge Frau an die Stelle Jesus, diese blickt nachdenklich, bewegungslos. Unter dem Tisch liegt der satte Schäferhund. War er der Verräter, der Störende der Gemeinschaft? Ein Bild, das viel Raum zum Nachdenken gibt. Lotte Laserstein emigrierte aufgrund ihrer jüdischen Abstammung 1937 nach Schweden. Dort arbeitete und lebte sie bis zu ihrem Tod.
Eine kleine Pause, Treppen sind zu steigen. Ein gänzlich anderes Kunstthema fordert Aufmerksamkeit: Abstraktion versus Figuration. Es geht um den Zeitraum, in der die Fotografie das realistische Abbild des Lebens von der Malerei übernahm. Wie vielfältig die malende Kunst sich daraufhin gestaltete, zeigen die Begrifflichkeiten Surrealismus, Realismus, Futurismus, Kubismus und Abstraktes. Man sprach über Maßnahmen und Wege, die zur Aufhebung des Kunstwerkes führen sollten. Wie unterschiedlich diese Wege waren, zeigen Bilder von Oskar Schlemmer, Paul Klee Architektur 1923, Picasso, Wassily Kandinsky, Käthe Kollwitz und Ernst Wilhelm Nay. Eine offene Vielfalt der Möglichkeiten und deren Ausführung.
Im letzten von mir besuchten Saal treffe ich auf Friesmalereien von Edward Munch Lebensfries 1-9. Diese Arbeit hatte Max Reinhard, Direktor der Berliner Kammerspiele, 1906 in Auftrag gegeben. Alle Szenen spielen in einem norwegischen Dorf und an dessen Strand. Alltägliches Landleben, Badefreuden, Apfelpflücken, Picknick, Sommernachtswünsche. Fast meine ich das Rauschen von Wellen zu hören. Ich hätte noch lange hier verweilen können.
Der Ausflug in die Kunsthalle Würth ist meiner Meinung nach absolut empfehlenswert. Es gäbe noch viel zu entdecken. Die Schatzkammer ist geöffnet.
Die Ausstellung ist noch bis zum 01. Mai 2015 zu besichtigen. Öffnungszeiten: Täglich von 10-18 Uhr, Eintritt ist frei
Führungen: täglich und nach Vereinbarung
Wie kommt man dorthin? Nun, wirklich einfacher als Ihr vielleicht annehmt! Der Zug fährt mehrmals täglich von Nürnberg Hbf nach Schwäbisch Hall. Die Fahrt dauert ca. eineinhalb Stunden, einmal müsste man umsteigen. Eine Autofahrt von Erlangen nach Schwäbisch Hall dauert ca. eine Stunde.
Uta Hoess
Ein anschaulicher Rundgang durch die Räume der Ausstellung, der Lust macht, sich Zeit zu nehmen und auf den Weg nach Schwäbisch Hall zu machen… Danke!