Verbogen, verschwitzt, verkrampft – deformiert, degeneriert, isoliert. Zustände, in die man sich selbst bringen kann, oder in die man manchmal gezwungen wird. Wie frei ist man in der Entscheidung, ob man das wirklich will? Die englisch-türkische Gruppe Noland Project Company stellt im Experimentiertheater eine Kombination von Schönheit und Leiden vor. In ihrer Tanztheaterperformance „Zapturapt (Discipline)“ trifft Ballett auf Militär, angeleitet von der Choreografin Esra Yurttut und unter der Dramaturgie von Evren Erbatur.
Eine Ballerina (Melis Tuzcuoglu) an einem Schminktisch bindet sich ihr Haar streng nach hinten. An der hinteren Bühnenwand sitzen versteinert drei Soldaten (Mertcan Semerci, Salih Usta, Cemil Can Yusufoglu) in düsterem Licht und starren vor sich hin, jeder unter seinen Habseligkeiten. Das Bühnenbild ist somit geteilt, Militär,Ballettecke und in der Mitte viel freie Fläche zum tanzen.
Anfangs hört man eine Person springen, Gelenke knacksen, Körperteile über den Boden streifen, Atmung, Stöhnen. Es ist eine Soundcollage aus körpereigenen Geräuschen der Ballerina beim Proben. Dann setzt Musik ein und die Tänzerin beginnt zu proben, sogeschmeidig und glatt ihre Bewegungen auch sind, mögen sie nicht ganz gelingen. Die Strumpfhose scheint zu stören, die Gummibänder an den Schuhen lässt sie immer wieder gegen ihre Füße schnalzen, ihren Anzug bringt sie immer wieder in die richtigePosition und auch die streng nach hinten gebundenen Haare scheinen widerspenstig.Doch sie versucht es weiter, bloß nicht aufhören zu lächeln, und wenn man scheitert, sofort wieder von vorne beginnen.Hier wurde mit viel Liebe zum Detail gearbeitet.
Auch die Soldaten wollen nicht scheitern. Sie drillen sich, robben über den Boden, heben die Hände zu militärischen Gesten, machen Liegestütz. Eine wunderbare Choreografie zwischen der Ballerina und den Soldaten entsteht, doch interagieren sie nicht als Figuren mit einander, sie tragen nur dasselbe Leid, immer wieder an die Grenzen ihres Körpers zu kommen. Und das scheint ihnen nicht nur körperlich, sondern vor allem seelisch sehr zu schaffen zu machen. Die Bewegungen werden immer extremer, die Soldaten brechen aus den sich wiederholenden Bewegungen aus, jeder auf seine Weise. Einer schüttelt seine Kopf so sehr, dass zu hören ist wie die Backen gegen seinen Kiefer klatschen. Doch immer wieder versuchen sie sich zu fangen und ihre disziplinierten Körper zurückzugewinnen.
Dies steigert sich so weit, bis es fast unaushaltbar wird, und es ist nicht verwunderlich, dass das Stück in der Türkei bei einigen Zuschauern für Tränen sorgte. In Deutschland wurde der Wehrdienst abgeschafft, doch in der Türkei gibt es für Frauen und Männer keine legale Möglichkeit, daran vorbei zu kommen. DieVerbindung zwischen Militär und Ballett erschließt sich nicht so einfach, außer über das extrem Körperliche und die Disziplin, die man dabei aufbringen muss. Doch es soll auch gar kein Vergleich sein, sondern es sind Beispiele für Mühe, Schmerz und Druck – Leiden, die wir alle ertragen müssen. Auch wenn sich das Bild, dass zwei so starke Professionen wie Ballerina und Soldaten stellvertretend für die Gesellschaft stehen sollen, nicht ohne weiteres herstellt: Ein berührender Abend, der sich genau die Zeit nimmt, die er braucht.
Erschienen in SPOTS, der Festivalzeitung von Arena… der jungen Künste.
Franziska Rachinsky