Der unsichtbare Peng

ApfelWer den Roman „Der unsichtbare Apfel“ von Robert Gwisdek alias Käptn Peng bei seiner Lesung kaufte, hatte das Gefühl, gerade das ungewöhnlichste und verrückteste Buch erworben zu haben, das je einer geschrieben hat. Bedeutungsschwanger und selbst ein wenig kreisförmig machte ich mich auf den Heimweg – wurde dort aber leider doch zum Dreieck.

Käptn Peng ist bekannt für seine wunderschönen Liedtexte. Man möchte sie auswendig lernen und immer wieder vor sich hinmurmeln. Man möchte ihnen auf den Grund gehen. So wie sie selbst den Geheimnissen des Lebens auf den Grund gehen möchten. Der Begründer der Sockosofie beschäftigt sich immer wieder mit den Fragen: Wo kommen wir her, wie kann es sein, dass es uns gibt, sind wir nur eine Socke auf einer Hand und wie wird man zum Kreis? Dabei überzeugt er mit unterhaltsamer Nachdenklichkeit und ungewöhnlichem Sprachgefühl. Entsprechend hoch waren meine Erwartungen an seinen ersten Roman „Der unsichtbare Apfel“.

O Mann, schon wieder dieser Peng, der kommt hier immer an und sieht alles so eng!“

Wer seine Lieder kennt, fragt sich unwillkürlich: Kann ich seinen Roman überhaupt durchstehen? Kann ich ihn verstehen? Besteht er nur aus runden Buchstaben? Und wie high bin ich, wenn ich es geschafft habe? Seine Lesung verstärkte diese Erwartungshaltung noch. Denn am 9. April 2014 kam er tatsächlich mit Buch, mit Filmen und als Robert Gwisdek ins Erlanger E-Werk – und war unfassbar sympathisch. Er erzählte, las, rappte, freestylte – wenn auch überraschend einfallslos, aber dadurch umso menschlicher – und zeigte beeindruckende Kurzfilme. Ein Abend, der nie hätte zu Ende gehen brauchen. Das wäre ganz schön gewesen. Wir hätten uns vielleicht immer wieder im Kreis gedreht – am Ende seiner Lesung wieder am Anfang angefangen –, und ich hätte weiterhin gedacht, dieses Buch könnte mir alle Geheimnisse der Welt, des Lebens und der Literatur enthüllen. Es könnte, würde es aber natürlich nicht, da ich nicht die Fähigkeit besäße, es wirklich zu verstehen.

Doch die Lesung war kein Kreis, sie war eine Linie, und in den kommenden Wochen las ich dann doch das ganze Buch.

Sie verlor ihre Form und sie wurde zum Kreis“

Der Einstieg des Buches ist relativ klassisch, aber stark: Gwisdek stellt seinen Protagonisten Igor auf eindringliche Weise vor. Er ist ein unkonzentriertes und seltsames Kind. Mit fünf Jahren bemerkt er das erste Mal, dass er stattfindet. Von da an verspürt er den Drang, die Welt entschlüsseln zu wollen. Er fühlt sich von geometrischen Figuren wie dem Kreis angezogen und stößt seine Mitmenschen immer wieder vor den Kopf. Er lernt Alma kennen und verliebt sich sofort. Als sie ganz plötzlich aus seinem Leben verschwindet, beschließt er, das Geheimnis der Welt endlich zu ergründen. Dafür wagt er ein Experiment: 100 Tage lang schließt er sich selbst in einen lichtlosen Raum ein.

Als Igor 23 wurde, kam ihm der Bezug zu seiner bisherigen Realität abhanden.“

Igor führt Tagebuch. Und diese kurzen Sequenzen aus der Ich-Perspektive sind oft lustig, oft poetisch, immer nachdenklich.

„Mein Abstraktionsvermögen zerteilt dich in gleichmäßige Würfel aus Farbe und Klang, bevor du Struktur sagen kannst! Dies ist ein Friedensangebot!“

Über Sätze wie diese kann man sehr lange nachdenken. Oder sie in ihrer Rätselhaftigkeit akzeptieren. Entscheidet man sich für die erste Möglichkeit, wird man wohl selbst so wirr im Kopf wie Igor. Er weiß nicht mehr, warum er seine Matratze abgeduscht hat, warum jemand an seiner Tür klopfen sollte, er beginnt, sich in der Dunkelheit stundenlang im Kreis zu drehen, und trauert um einen Käfer.

Schließlich fällt er in einen Traum, aus dem er bis zum Ende des Buchs nicht aufwachen wird. Das Tagebuch endet zwar nicht, doch das lustige Ich verschwindet. Der personale Erzähler kehrt zurück, leider.

Die Welt hat genug getanzt“

Aus dem verschrobenen aber liebenswerten Tagebuch-Igor wird ein eigensinniger, unverständlicher Traum-Igor. Er wandelt durch ein kafkaeskes Gebäude, das keine Außenmauern zu haben scheint. Hier begegnet er einem Kreis und macht ihn zu seinem Verbündeten, obwohl die Bewohner des Hauses nur Dreiecke akzeptieren. In dieser Abstraktion rückt leider auch Igor in immer weitere Ferne. Und das, obwohl seine Reise eigentlich gut nachvollziehbar ist: Er möchte herausfinden, in welchem Gebäude er sich befindet. Dafür muss er verschiedene Aufgaben erfüllen, die ihn immer tiefer ins Zentrum führen. Bald wird ihm klar, dass er selbst das Gebäude ist, der Kreis schließt sich. Irgendwie. Und doch ist dieser Part des Buchs im Vergleich zum Anfang schwach, hier lässt Gwisdeks Sprache den Zauber der Peng-Lieder immer wieder vermissen. Beinahe jeder Satz spricht von den Gefühlen des Protagonisten: „Igor war ergriffen“, „der Kreis hatte ihn … berührt“, „… ein funkelndes Licht, das Igor beunruhigte“ – doch diese Gefühle werden nicht greifbar. Sie stehen genauso abstrakt vor dem Leser wie die Kreise und Dreiecke. Während Igor sich in einer Spirale tiefer in die eigene Person eingräbt, lässt er den Leser aufgrund der eindimensionalen Beschreibungen einfach stehen. Statt von ihm auf diese Reise mitgenommen zu werden, kann er nur noch zusehen, wie Igor am Horizont immer kleiner wird.

Vieles im Gebäude war noch im Ungeraden“

Bei seiner Lesung hat Gwisdek von einer Spirale gesprochen, in der am Ende die ganze Geschichte aufgeht. Doch ganz funktioniert das nicht. Das Buch hat einige Ecken und Kanten, langatmige Passagen und stilistische Schwächen. Trotzdem bleibt es ein lesenswertes Buch: Als Kreis und Dreieck verschmelzen, können auch Igor und der Leser wieder näher zusammenrücken. Das Ende hält noch eine schöne Auflösung bereit und der Roman besticht auch insgesamt durch seine eigene Welt, seine interessante Hauptfigur und seine tiefgehenden Fragestellungen. Dabei ist es durchaus ein wenig verrückt und sicherlich auch ungewöhnlich. Doch nicht in dem von mir erwarteten Maße. Und natürlich wird hier nichts beantwortet, kein Rätsel wird gelöst. Dafür werden einem die Rätsel zumindest bewusst, man beginnt wieder zu fragen. Und was kann ein Roman Schöneres schaffen?

„In der dritten Nacht ließ er zum ersten Mal seinen Kreis hervorschweben und blickte still in dessen perlmuttfarbenes Schimmern. Igor wusste, dass er viel Verwirrung gestiftet hatte.“

 

Rebekka Knoll

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