Kampf der Künste

8261a58194
Re>flex berichtet regelmäßig über den Erlanger Poetry-Slam im E-Werk. Dass es sich dabei inzwischen längst nicht mehr um eine randständige Kunst für Hinterbühnen und alternative Lokale handelt, beweist die Tatsache, dass das Finale der Hamburger Reihe „Kampf der Künste“ am vergangenen Freitag im berstend vollen Deutschen Schauspielhaus Hamburg stattfand.

So pompös der große Theatersaal ist, so minimalistisch gab sich die Show. Der charismatische Michel Abdollahi führte als Conférencier durch den Abend und gewann durch seine beherrschte, leicht unterkühlte Art das Publikum schnell auf seine Seite, als er die Juroren für den Abend aus dem Publikum auswählte.
Die erste Teilnehmerin war die Schweizerin Hazel Brugger, für die der Tod ihres Kaninchens Fragen über Vergänglichkeit und Ewigkeit eröffnete. Ihr witziger, flüssiger Text machte Hoffnungen auf einen gelungenen Slam-Abend.
Indiana Jonas, der wie manche der Kandidaten auch schon in Erlangen zu Gast gewesen ist, sprach von seiner Langsamkeit, die ihm dann zu Verhängnis wurde, als er es nicht rechtzeitig vermeiden kann, mit der ihm zugewiesenen Tanzpartnerin Florence, die eher nach „Florentz mit t-z“ aussieht, eine mehrjährige Beziehung zu führen. Also muss das Ziel fortan sein, schneller zu werden, immer schneller. Wohin das führt, resümiert er mit seiner melancholischen Schlussbemerkung, dass er nun, mit Mitte 20, das Gefühl habe, es sei ein ganzes Stück leben viel zu schnell an ihm vorbeigezogen. Diese Wiederentdeckung der Langsamkeit zeigt, dass dieses Thema auch die Generation nach Sten Nadolnys Erfolgsroman noch bewegt.

In eine exklusive Runde der festen Größen der deutschen Literaturgeschichte geriet Jason Bartsch in seinem in aller Hast vorgetragenen Text. Sein leidenschaftliches Plädoyer für das Lesen von Büchern ist in mancher Hinsicht wenig innovativ, beweist allerdings spätestens mit der Erwähnung des eigentlich völlig unbekannten Friedrich Torberg einige Detailkenntnis. Fraglich ist allerdings ob sich der Appell nicht möglicherweise an das falsche Publikum richtet – da es, wir erinnern uns, ja gerade einem Poetry Slam beiwohnt.
Etwas fehl am Platze schien auch das energische AfD-Bashing von Temye Tesfu, wenngleich es nicht einmal eine Woche nach der Europawahl doch zumindest ein aktuelles und wichtiges Thema ist. Besonders reflektiert schien seine Kritik freilich nicht, das wollte sie aber auch nicht sein.
Gewinner der Runde war dann allerdings Tilman Döring, der mit drei Gedichten, von denen nur das erste ein unschöner Daktylus-Gewaltmarsch war, das Publikum überzeugte: mit Gangsterpoesie und dem Liebesgedicht „Ich will, dass du mich willst, obwohl du weißt, dass du mich haben kannst“.

Nach einer 15-minütigen Pause sprach Wolf Hogekamp den ersten Text, den er – die Selbstreferenzialität schon andeutend – mit „Dieser Text“ überschrieben hatte. Die Widmung an Rolf Dieter Brinkmann verrät das Potenzial dieses Beitrags, der auflistet, was er alles nicht ist, und dass er weder alles noch nichts ist. Damit lieferte Hogekamp, der deutlich älter ist als seine Mitstreiter, den subversivsten Text des Abends, in dem er das zum Massenphänomen gewordene Format des Poetry Slam auf zwei Ebenen unterlief, indem er zum einen die gängigen Topoi der Gattung auflistete und sich gleichzeitig in die Tradition des Pop, der ja in seinem Ursprung gerade gegen das Etablierte gerichtet ist, einschrieb. Tilman Döring sollte im Finale schließlich einen ganz ähnlichen Text präsentieren: Er sollte ebenfalls den Poetry Slam als vermeintlich überkommenes Format geißeln, im Unterschied zu Hogekamp würde er dies allerdings in der Sprache des Poetry Slam tun. In dieser Form ist die Selbstkritik ja selbst schon zum Topos geworden – worauf Döring allerdings auch selbst hinwies.

D-d-don’t mess with the Stotterer

Es folgte der zweite Finalist und spätere Sieger David Friedrich, der in seinem Text seine Begegnung mit den augenscheinlich Starken im Fitnessstudio durchexerziert und durch seinen pointierten Vortrag die Lacher auf seine Seite zog. Nachdem sich der Schrank an der Hantelbank als lispelnder Stotterer herausstellt, entwickelt Friedrichs Figur ein verhängnisvolles Überlegenheitsgefühl, das sich in einer empfangenen Kopfnuss manifestiert. Die Conclusio: „Don‘t mess with the Stotterer.“
Mriri, dessen Künstlername ein nicht zu verschriftlichendes Geräusch ist, weswegen die hier vorliegende – empfohlene – Transkription keine ansatzweise Vorstellung von der Lautlichkeit des Namens liefern kann, unterhielt das Publikum mit kurzen Flachwitztexten, die mitunter dermaßen komplex waren, dass die Pointe erst deutlich verzögert zündete. Einer der einfacheren – und vielseitig einsetzbaren – Sentenzen: „Ich wollte einen Witz über die Brüste deiner Freundin machen. Aber die Pointe war einfach zu flach.“ Die Pointiertheit und stilistische Feinheit seiner verspielten Kürzesttexte und Sentenzen, verdienen hohe Anerkennung.

Für den undankbaren ernsten Part des Slams war Finnja Krisamer zuständig, deren wohl autobiographisch geprägte Geschichte über das Leben und Fühlen nach einer schweren Erkrankung (Schlaganfälle, Hirnhautentzündung) weniger vom Mutigwerden und Wiederaufstehen handelt, sondern die Katastrophe ernst nimmt. Gerade in der humorlosen Konfrontation mit dem Thema im Medium des Literarischen, aber auch im Medium der Selbstbehauptung auf der Bühne im bis auf den letzten Platz ausverkauften Schauspielhaus, besteht das bestärkende Potenzial. Ihr Text ist insofern weniger als Ausdruck, sondern vielmehr als Prozess des Sich-fangens zu deuten. Dennoch wirkte Krisamer an diesem Abend irgendwie deplatziert zwischen all den Spaßmachern, die Rezeption des Publikums war deswegen von Beginn an fehlgeleitet, da man noch nach den versteckten Pointen suchen mochte, nach dem Funken Ironie. Ein freilich erfolgloses Bemühen.

Moderator Michel Abdollahi im Schauspielhaus Foto: Jan Brandes

Moderator Michel Abdollahi im Schauspielhaus
Foto: Jan Brandes

Nick Pötter sendete als letzter Starter Hermes zurück auf die Erde, um nach der Liebe zu suchen. Das klingt zunächst nach der zweiten Nadolny-Anspielung des Abends, war dann aber eher eine Anknüpfung an den berühmten Troggs-Song. Hermes, der zunächst im Internet nach der Liebe sucht, findet dort nur Youporn und Sexdating-Plattformen. Zeus beschließt daraufhin, dass es mit der Menschheit dann eben ein Ende nehmen müsse. Der nahende Weltuntergang wird nur von Hera verhindert, die darauf hinweist, dass Liebe gerade in den Details zu finden sei und die könne man überall finden, wenn man genau hinsieht.
An den kitschigsten Text des Abends knüpfte der klischeehafteste, mit dem David Friedrich, der Gewinner der zweiten Runde, den Abend für sich entscheiden konnte: Statt um die Liebe, ging es um Glück, nach dessen (Nicht-)Existenz gefahndet wurde. Obwohl die Rahmung der Geschichte gewitzt war, und sie somit – wie schon im ersten Text Friedrichs – eine überraschende Wendung vollzog, handelte sie wieder einmal von den halb vollen und halb leeren Gläsern, die in dieser Hinsicht inzwischen zum Leitmotiv einer Generation geworden sind. Innovativ war daran nur die Einsicht, dass man den Inhalt des Glases auf mehrere Schnapsgläser verteilen könne, die dann doch brechend voll wären.

Zum Sieger des Finales der Reihe „Kampf der Künste“ wurde jedoch nicht der schlechteste Slam-Poet gekürt. Auch der zweite Text wird von Friedrich charmant und gewitzt vorgetragen. Die Qualität seiner beiden Texte liegt weniger in der Message als vielmehr in den randläufigen Bemerkungen voller Esprit. Er wird nun im Oktober bei der Deutschen PoetrySlam Meisterschaft in Dresden antreten.

Timo Sestu

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.