Sterbehilfe für Nerds

Cover zu "Das unerhörte des Leben des Alex Woods" von Gavin Extence (Quelle und Urheber: Limes Verlag).

Cover zu Das unerhörte des Leben des Alex Woods von Gavin Extence (Quelle und Urheber: Limes Verlag).

Ein Meteor bricht durch ein Hausdach und trifft einen kleinen Jungen am Kopf. Der Junge, der überlebt, aber nach einer Komaphase an Epilepsie leidet, hilft später einem alten Mann beim Sterben. Denn vom Überleben und Sterben handelt der Roman Das unerhörte Leben des Alex Woods Oder: Warum das Universum keinen Plan hat, verfasst vom britischen Autor Gavin Extence.

Alex Woods, der Junge der von einem Meteor am Kopf getroffen wird, ist die Hauptperson und der Ich-Erzähler. Im Grunde hat der Roman zwei Haupthandlungen, die aufeinander aufbauen, die eben beide Kindheit und Jugend des Protagonisten beschreiben. Auf den ersten Blick haben sie höchstens von einem psychologischen Ansatz miteinander zu tun, jedoch in gewisser Weise auch philosophisch, in dem sie einander diametral gegenüber stehen.

Im ersten Teil des Romans wird beschrieben, wie sehr Alex Woods unter der Epilepsie und seinen Schulkameraden zu leiden hat, da er gänzlich anders ist: Epileptiker, seine Mutter ist eine Wahrsagerin, Alex ist klein und schmächtig, relativ intelligent und er entwickelt sich zu einem Streber und Nerd der pursten Art, der sich vor allem für die Sterne, die Neurologie und die Physik interessiert. Diese Diversität bringt ihn allerlei Gängelungen von Schulkameraden ein. Durch dieses Dasein als schulische persona non grata trifft Alex zufällig Mr. Peterson, einem alten kranken Amerikaner, der Pazifist und Amnesty-Aktivist ist, Unmengen an Marihuana raucht, zurückgezogen lebt sowie manchmal etwas schroff ist. Doch die beiden freunden sich an und lesen bald die gleichen Bücher. Lange Zeit geht es nur – mit einigen sehr berechenbaren Zwischenfällen – um die Vertiefung dieser asymmetrischen Freundschaft.

Doch schließlich folgt der wichtigste Part des zweiten Teils: Peterson wird sterbenskrank und beschließt, bevor er langsam vor sich hinvegetiert, ein Pflegefall wird und stirbt, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen, indem er in der Schweiz in eine Sterbehilfeklinik gehen will – und Alex ihn begleiten soll. Extence macht es sich viel zu einfach: Der in manchem sehr kindliche Alex hat wie durch ein Wunder überlebt, während sein Freund sogar sterben will. Dieser Antagonismus ist zu artifiziell. Ebenso macht er sich die Sterbehilfedebatte zu einfach. Während Alex, der Nerd, zunächst noch Bedenken hat, da er Mr. Peterson so schätzt und nicht verlieren will, überlegt er sich sehr schnell anders und beschließt die Integrität Petersons zu akzeptieren und ihm beim Sterben zu helfen, sprich, ihm die Flucht aus dem Krankenhaus zu ermöglichen und in die Schweiz zu bringen, wo ein furchtbar anrührendes Ende folgt.

Die Plattheit des Sterbehilfediskurses

Auch ansonsten ist die Handlung des Buches zu seicht und platt: Alex´ Mutter ist zu stereotyp und die Pseudoliebesgeschichte, die so nebenbei einfließt, ist, schon bevor sie zu einer wird, offensichtlich. Das alles dient scheinbar nur durch seine Plattheit auf den Sterbehilfediskurs in der zweiten Buchhälfte hinzuarbeiten, der leider selbst nicht besonders differenziert behandelt wird.

Auch stilistisch ist Extences Roman zwar folgerichtig und konsequent, aber qualitativ eher durchwachsen. Sein Erzählstil ist stringent und chronologisch, bis auf weniger Vorwegblicke. Gleichzeitig ist das Buch sprachlich-stilistisch nicht besonders aufsehenerregt oder interessant geschrieben. Das ist jedoch von Extence korrekt, insofern, als dass der Roman ja aus der Perspektive von Alex geschildert ist, einem intelligenten, seltsamen und auch unreifen Teenager, der nicht besonders viel Ahnung von Ausdrucksweise hat.

Insgesamt handelt es sich um eine ganz nette, obgleich zu konstruierte Geschichte, die jedoch einen wichtigen Inhalt, den Disput um Sterbehilfe, kommuniziert – einem Disput, der in der Literatur der letzten Jahre ohnehin zu selten Raum beanspruchte, sondern eher von Hobbyethikern simplifiziert wurde. Gleichzeitig ist der Roman aber selbst – weder inhaltlich noch vom stilistischen Duktus her – besonders tiefgründig, und das ist schade.

Gavin Extence: Das unerhörte Leben des Alex Woods Oder: Warum das Leben keinen Plan hat, übersetzt von Alexcandra Ernst, Limes Verlag, München 2014. Gebunden, 480 Seiten, 19,99 Euro.

Philip J. Dingeldey

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