Die Macht glühender Leidenschaft

Coverbild von Mitchell Loeb

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Die israelische Autorin Ayelet Gundar-Goshen hat mit ihrem Roman-Erstling Eine Nacht, Markowitz einen der vielleicht bemerkenswertesten Romane des letzten Jahres geschrieben. Es ist eine Geschichte über die maßlose Liebe in den Wirren der Gründung des Staates Israel. – Eine Rezension von Timo Sestu

Jakob Markowitz ist der unscheinbarste Bauer der Moschawa. Er ist so unscheinbar, dass er im israelischen Unabhängigkeitskampf zum Waffenschmuggler wird, denn der „Blick der britischen Soldaten glitt an seinem Gesicht ab wie Öl an der Pistole“ (S. 9).

Als sein bester Freund Seev Feinberg mit der Frau des Dorfschächters erwischt wird, fliehen die beiden im Auftrag der Irgun nach Europa. Ihr Auftrag: Sie sollen dort eine Frau heiraten, um mit ihr nach Palästina ausreisen zu dürfen. So hoffen die Kämpfer, Menschleben zu retten. Die Bedrohung durch das nationalsozialistische Deutschland ist schon spürbar. In Palästina angekommen sollen die Ehen dann annulliert werden.

Seev Feinberg, der es mit der Treue zuvor nicht so genau genommen hatte, springt bereits vorzeitig von Bord und schwimmt an die Küste, seiner sehnlich wartenden Sonia entgegen. Dass er der geretteten Europäerin den Scheidebrief geben würde, kein Zweifel. Nur einer hadert während der Überfahrt mit sich: Jakob Markowitz. Er hat die schönste Frau kennen gelernt, die er je gesehen hat und zu allem Überfluss ist er nun auch mit ihr verheiratet: Bella Seigermann, nun Markowitz. Und deswegen entschließt er sich, diese Frau nicht ziehen zu lassen, wenngleich sie ihn nicht liebt:

„Jakob Markowitz sagte sich im Stillen: Sie will mich nicht. Und wunderte sich, dass eine derart triviale Erkenntnis so höllisch weh tun konnte“ (S. 93).

Ayelet Gundar-Goshen erzählt fantasievoll von der einen großen Liebe, der Jakob Markowitz begegnet. An ihr Bild hängt er all sein Lieben und Hoffen, da zählt es nicht, dass sie niemals ein freundliches Wort für ihn übrig haben wird. So zieht mit Bella gleichzeitig die Kälte in sein Haus in der Moschawa ein – zwanzig Jahre lang. Es sind die zwanzig Jahre, in denen aus kämpfenden Siedlern Minister werden, in denen aus einem britischen Protektorat ein starker israelischer Staat wird. Diese historische Entwicklung begleitet die Geschichte grundlegend, doch bleibt sie ein Dröhnen im Hintergrund. Soldaten fallen im Krieg, die Protagonisten werden zu Helden. Jeder Moment dieses Romans atmet aber die Sehnsucht seiner Figuren nach Liebe und Erfüllung.

Dass diese Sehnsucht vergeblich bleiben muss, verraten schon diese Zeilen:

„,[…]Ich sehs doch. Du bist nicht glücklich.‘
‚Glücklich?‘ Sonia machte große Augen vor Staunen. ‚Seit wann hängen Glück und Liebe zusammen?‘“ (S. 173)

Trotzdem ist Gundar-Goshens Debütroman von bemerkenswerter Komik. Als Bella Markowitz etwa den Dichter kennenlernt, dessen Gedicht sie sehnsüchtig in den Nahen Osten geführt hatte, ist die Enttäuschung groß. Nach dem Geschlechtsverkehrt rezitiert er die geliebten Zeilen „Der Orange gleich leichtet die Sonne in goldener Pracht, erfüllet das Herz mit Kühnheit und Macht!“ und bringt seinem Groupie einen „Teller voll Orangenschnitzen“:

„Bella lächtelte und biss in einen Fruchtschnitt. Gleich darauf fing sie an zu weinen. Vergeblich versuchte der Dichter, den Grund zu erfahren. Sie murmelte nur immer wieder: ‚Ich mag ja gar keine Orangen‘ (S. 136).

Eigentlich müsste diese Geschichte ja nur so triefen vor Kitsch. Allerdings nimmt die Erzählerin sich der Sorgen und Nöte ihrer Figuren mit großer Hingabe an und schirmt sie vor dem Spott des Lesers, indem sie immer den richtigen Ton wahrt. Ihre große Liebe zum Erzählen manifestiert sich im märchenhaften Personal: Menschen, die so unscheinbar sind, dass man sie nur mit Mühe länger ansehen kann; Menschen, die nach Orangen duften oder nach Aprikosen, machtlos gegen ihren betörenden Duft; Menschen, die riesige Schnauzbärte mit Eigenleben haben, die sich vor Wut oder Erregung kräuseln; feine, grobschlächtige, dünnhäutige, machtlose Menschen. Machtlos vor allem dort, wo sie mit Gewalt nichts ausrichten können.

Ein Glück, dass die Erzählerin es schafft, die Sonne zu ihrer Komplizin zu machen. Am entscheidenden Tag, geht sie zwanzig Minuten später auf als erwartet. „Denn die Sonne – sollen die Wissenschaftler sagen, was sie wollen – liebt die Menschen von ganzem Herzen […]. Sonst würde sie sie nicht Tag und Nacht so fürsorglich umkreisen wie eine gute Mutter“ (S. 410).

Eine Nacht, Markowitz ist aber kein tröstliches Buch. Zwar entspinnt sich aus den Wirren der Leidenschaften und des Krieges eine magische Geschichte, aber all die Fäden der Hoffnung, sie münden im Nichts. Am Ende werden die Helden wieder zu Menschen. Und ihre Geschichten von vergangenen Tagen dienen ihnen nicht zum Glücklichsein. Glück und Liebe hängen vielleicht doch zusammen.

 

Ayelet Gundar-Goshen, Eine Nacht, Markowitz. Zürich: Kein und Aber, 2013, 426 S., € 22,90, ISBN 978-3-0369-5681-7.

 

Timo Sestu

 

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