Gestern fand die Premiere der neuen Eigenproduktion des Gostner Hoftheaters statt. Die Nachwuchsregisseurin Silke Würzberger inszenierte Janne Tellers umstrittenen Roman „Nichts. Was im Leben wichtig ist“. Die Handlung des Stückes kreist um Kernfragen des menschlichen Daseins: Welchen Sinn hat unser Leben? Was darin ist bedeutend?
„Nichts bedeutet irgendetwas, das weiß ich schon lange. Deshalb lohnt es sich nicht, irgendetwas zu tun. Das habe ich gerade herausgefunden.“ Mit diesen Worten verlässt Pierre Anthon am ersten Schultag nach den Ferien seine Klasse und zieht sich auf einen Pflaumenbaum vor der Schule zurück: „Warum sich nicht sofort eingestehen, dass nichts etwas bedeutet und dann das Nichts, das ist, genießen?“ Pierre Anthon wird bis kurz vor Ende des Stückes auf einer Leiter alias dem Pflaumenbaum sitzen, beobachten und hin und wieder kommentieren, was passiert.
Würzberger besetzte ihre erste Regiearbeit mit nur vier Schauspielern, was eine besondere Herausforderung darstellt. Denn neben Oliver Goetschel, der Pierre Anthon spielt und nicht sonderlich viel zu tun hat, müssen Julia Hell, Christin Wehner und Roman Roth die Rolle der kompletten Klasse übernehmen. Die Schauspieler grenzen die einzelnen Charaktere durch variantenreichen Einsatz von Stimme, Mimik und Gestik voneinander ab. Christin Wehner übernimmt die Rolle der Kommentatorin. Als eine der Schülerinnen erklärt sie dem Publikum Hintergründe, beschreibt ihre KlassenkameradInnen und wirft Fragen auf, interagiert aber auch in der Geschichte selbst, die sie nun erzählt:
„Berg der Bedeutung“ versus nihilistische Weltsicht
Mit seiner nihilistischen Weltsicht provoziert Pierre Anthon Reaktionen seiner Mitschüler, die ihn vom Baum holen und davon überzeugen wollen, dass es einiges an Bedeutung in ihrem Leben gibt. Deshalb beschließen sie, einen „Berg der Bedeutung“ zu errichten, der aus bedeutsamen Dingen besteht. Als Ort des Geschehens wählen sie ein leerstehendes Sägewerk, auf der Bühne mit abstrakten Elementen wie einem Rohrschacht, Stangen und Schaumstoffmatten dargestellt. Die Schüler häufen zunächst Wertgegenstände wie Ohrringe, Sandalen, ein Fahrrad auf. Dabei wird ersichtlich, dass der Wert einer Sache oft erst durch den persönlichen Bezug des Einzelnen zu ihr entsteht und die Sache durch diesen Bezug eine symbolische Aufladung erfährt. Andere Dinge besitzen durch ihren gesellschaftlich-religiösen Kontext zusätzliche Symbolkraft, so wie Husseins Gebetsteppich, Frederiks Dannebrog-Fahne oder das Kreuz aus der örtlichen Kirche. Auch Bedeutungen, die nicht objektgebunden sind, fallen zum Opfer: Sofie verliert unfreiwillig ihre Unschuld und wird dies psychisch nicht verkraften. Die Betroffenen weinen um ihre Verluste, werden wütend und rachsüchtig. Makaber wird es, als die Schüler den Sarg von Elises kleinem Bruder ausbuddeln und den zugelaufenen Hund köpfen, um Schädel und Sarg mit Inhalt dem Berg zuzufügen. Das grausame Spiel findet ein Ende, als die eigenen Klassenkameraden dem leidenschaftlichen Gitarrenspieler Jan-Johan seinen Finger abschneiden und dieser daraufhin die Unternehmung verrät.
Gescheiterte Sinnsuche?
Obwohl die Schüler teils schwer traumatisiert sind, wollen sie an der Relevanz ihres Unterfangens festhalten. Wie im Wahn lassen sie das Publikum mit triumphierender Stimme wissen, dass der Berg der Bedeutung unglaublichen Wirbel in der Presse auslöst, am Ende sogar von einem Museum für viel Geld als Kunstwerk aufgekauft wird. Einzig auf eine Reaktion von Pierre Anthon, der immer noch im Baum sitzt, warten sie vergeblich. Seine Ignoranz bringt die Überzeugung der Schüler ins Wanken, initiierten sie doch die Unternehmung einzig wegen seiner verneinenden Einstellung gegenüber der Welt. Am Ende kommt Pierre Anthon endlich herunter von seinem Baum. Aber er zerstört die Illusion der Klasse, ihn von der Existenz von Bedeutung überzeugen zu können. Er weist seine Klassenkameraden darauf hin, dass die Dinge, die sie opferten, keine Bedeutung haben, weil sie diese anscheinend entbehren können und am Ende sogar verkaufen. Als die Schüler mit dieser Botschaft konfrontiert werden, erscheint es ihnen bedeutsam, ihre Wut und Verzweiflung gegen Pierre Anthon zu richten, ihn zu schlagen und zu töten. Der Schüler, der jeglichen Sinn verneint, verbrennt im entzündeten Sägewerk mit all der darin aufgestapelten Bedeutsamkeit. Auf der Bühne wird dies freilich nur angedeutet.
Pierre Anthons Aussage, dass all die Dinge auf dem Berg der Bedeutung ebendiese nicht haben, ist ergänzungswürdig. Sie besitzen durchaus Bedeutung und werden dieser lediglich beraubt, indem sie aus ihrem sinnvollen Kontext gelöst und ihrer eigentlichen Bestimmung entzogen werden. Warum schafft es Pierre Anthon, seine Mitschüler so sehr zu verunsichern, dass sie dieses schmerzvolle und verlustreiche Spiel beginnen? Die Klasse muss sich scheinbar auch selbst beweisen, dass das Leben einen Sinn hat. Vermeintlicher Sinn entsteht bislang vor allem durch Vorstellungen und Normen, die von außen an die 7.Klässler herangetragen werden: „… unter allen Umständen war es am wichtigsten, dass aus einem etwas wurde. Das nach etwas aussah.“ Tellers Stück enthält also durchaus eine gesellschaftskritische Dimension. Die Schüler fragen nur nach der Bedeutung einzelner Dinge, anstatt nach dem Sinn des abstrakten Berges zu fragen, den sie anhäufen. Statt sich von ihrem Mitschüler provozieren zu lassen, hätten die Schüler besser ausloten sollen, was ihnen wirklich wichtig ist und was ihrem Leben einen Sinn gibt. Ein Zitat von Hermann Hesse bringt die Moral von Tellers Werk gut auf den Punkt:
„Wir verlangen, das Leben müsse einen Sinn haben – aber es hat nur ganz genau so viel Sinn, als wir selber ihm zu geben imstande sind.“
Würzberger blieb mit ihrer Inszenierung nahe am Plot der literarischen Vorlage. Deswegen gab es auch keine dramaturgischen Überraschungen oder eine Auflösung der Fragen, die Janne Tellers Roman hervorrief. Die junge Regisseurin schaffte es durchaus, das Publikum zu diesen Fragen zu animieren oder im Stillen eigene Antworten zu finden. Dabei half auch die interaktive Ausstellung „Nur. Was im Leben wichtig ist“, die im Gostner Hof zur Interaktion animierte. Ausgestellt wird eine Auswahl der „Dinge und Werte, die in unserer heutigen Gesellschaft von Bedeutung sind“ (jeweils mit einer Markierung versehen, die die Wertung der Schüler anzeigt): Familie und Freunde (59%), Persönliches (8,6%), Lebensmittel (6,4%), elektronische Geräte (13,6%), Haustiere (0,92%), Aktivitäten (12%). Zwei Schülerinnen der involvierten Johann-Daniel-Preißler-Mittelschule verteilten an die Gäste beim Verlassen des Theatersaals Styroporkugeln, die als Abstimmungsinstrumentarium dienen. Jeder konnte seine Kugel in eine der installierten Plexiglasröhren mit jeweils spezifischer Symbolik werfen. Je mehr Kugeln pro Säule, desto bedeutsamer der Inhalt. Abschließend wurden die Mitwirkenden im LOFT geehrt und für alle Anwesenden gab es ein leckeres Büffet.
Weitere Vorstellungen könnt ihr vom 13. März bis 5. April, immer Mi./ Do. um 19.30 Uhr und Fr./ Sa. um 20 Uhr im Gostner Hoftheater/ Austraße 70 besuchen.