Die dritte Seite der Medaille

Foto von Stefanie Miller (www.stefanieannamiller.de)

Foto von Stefanie Miller (www.stefanieannamiller.de)

Zwei Mütter verlieren ihre Tochter. Die eine ist Palästinenserin, die andere Israelin. Die eine Tochter hat sich in einem Supermarkt in die Luft gesprengt und die andere, die gerade Fisch kaufen wollte, mit in den Tod gerissen. Stefanie Anna Miller hat dieser Geschichte in Von Mutter zu Mutter theatralen Ausdruck verliehen.

Zwei große Plexiglaswände – hinter ihnen stehen Um Ayat (gespielt von Fadwa Massaidi) und Avigail Levy (Izabella Lutsker). Sie putzen Fenster, jede ihr eigenes, aber doch auf dieselbe Weise. So wie sie sämtliche Handlungen während des Stückes parallel vollziehen. Beide hängen sie Wäsche auf, beide stehen sie in der Küche und schneiden. Der Alltag macht keinen Unterschied zwischen den beiden. Sie sind beide Mütter, die ihre Tochter verloren haben. Beide sind gefangen im Alltag und beide suchen im Geiste schon lange die Begegnung mit der Mutter des anderen Mädchens.

 

„Es ist Mittag als die Bombe hochgeht“

Und von diesem Mittag an ist alles anders. Das führt schließlich dazu, dass die beiden Mütter einander begegnen, wenngleich nur über eine Videoverbindung. Sie finden auch relativ schnell einen Konsens, nachdem sie einmal ihr Leid ohne Rücksicht klagen konnten. Die Palästinenserin, die im Camp lebt wie in Gefangenschaft, die Israelin, für die der Tod ihrer Tochter partout keine politische Frage ist. Für beide Mütter gilt, dass die tote Tochter sehr präsent ist. Die Inszenierung räumt den Töchtern, die beide von Romy Schiller verkörpert werden, eine zentrale Stellung ein. Die junge Attentäterin erhält Raum für eine nachvollziehbare Apologetik, das vermeintliche Opfer entpuppt sich als nicht minder fundamentalistisch. Im Prinzip aber sind die Motive der Töchter dramaturgisch nicht relevant. Fast geisterhaft spukt ihre Verkörperung in Romy Schiller dennoch auf der Bühne und lenkt mitunter die Schritte der Mütter wie eine Marionettenspielerin, als ein wandelndes tertium comparationis.

Letztlich ist die Rede von den „drei Seiten einer Medaille“, deren dritte Seite diese Wahrheit irgendwo dazwischen sei. Weiter geht die Annäherung nicht, auch auf der Bühne machen die beiden Frauen letztlich nicht ihren Frieden. Werden wir irgendwann einmal Frieden haben? Diese Frage findet keine nachhaltige Antwort.

Zeitweise verheddert sich die Inszenierung in schon gesehenen Arrangements, die Argumente der Mütter wiederholen sich und so ahnt man letztlich doch, dass es Schauspielerinnen sind, die dort auf der Bühne stehen, selbst wenn die Inszenierung etwas anderes suggeriert. Dann wird die Inszenierung doch arg pathetisch. Hier nützt auch der „authentische Hintergrund“ wenig, um überzeugende Spannung zu erzeugen. Es ist ein wenig schade, dass das Potenzial der Story nicht in echte Schlüsselmomente übersetzt wurde. Vielleicht handelt es sich dabei jedoch auch um die unausweichliche Folge dieser Tragik – sie lässt auch den Zuschauer unbefriedigt zurück: ohne Antwort, ohne Erkenntnis und im Bewusstsein um eben diese dritte Seite der Medaille, die – und das ist dann eben doch nicht abgedroschen – es gar nicht gibt.

 Timo Sestu

Eine weitere Aufführung heute, 9.3.2014, 20 Uhr in der Theatergarage!

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