Bilder in Bewegung – Choreograf lässt Comics tanzen

Pressefoto der Tafelhalle

Pressefoto der Tafelhalle

Gestern fand die Premiere der neuen Produktion des SETanztheaters in der Tafelhalle statt. body.Bilder.strip ist der Versuch, Tanz und Comic zu vereinen. Choreograph Sebastian Eilers, der am selben Tag seinen Geburtstag feierte, bot den Gästen eine interessante Vorstellung, deren Absicht nicht immer ganz durchschaubar war.

Wer fürchtet sich vor Virginia W. und wer ist diese Dame überhaupt? Im Vorfeld der Premiere stand die mediale Umsetzung des Stückes so sehr im Vordergrund, dass man den Zusatztitel glatt übersehen konnte. Das bekannte Drama von Edward Albee gibt Eilers‘ Produktion den narrativen Rahmen: Ein älteres Paar bekommt Besuch von einem jüngeren Paar und trägt vor dessen Augen einen erbitterten Ehestreit aus, öffnet alte Wunden, kramt die Vergangenheit hervor. Alkohol lässt die Situation irgendwann eskalieren.

Wie setzt Eilers die Geschichte um? Die vier Tänzer werden anfangs auf rechteckigen Monitoren, die gleich digitalen Korrelaten zu den Tänzern zentral für das ganze Stück sein werden, vorgestellt. Die Monitore wirken wie Panels in Comicstrips, sie bilden jeweils einen Handlungsrahmen und zeigen (bewegte) Bilder. Die Tänzer selbst erscheinen auf der Bühne und performen paarweise. Verschwindet eine(r) von ihnen hinter den Monitor-Konstruktionen, zeigt der Monitor eine Fotografie des Tänzers. Die reale Person wird somit vom digitalen Korrelat abgelöst.

In einer nächsten Szene sitzen die Tänzer auf installierten Plätzen und artikulieren wild. Sie visualisieren im Hintergrund hörbare Gesprächsfetzen mit übertriebener Gestik und Mimik, gleich karikaturhaften Comicfiguren, die sowohl abgehackt-schnelle als auch langsam-fließende Bewegungen innehaben. Die Artikulationen werden immer überzogener und hysterischer, die Tänzer verlassen ihre Plätze. Mit Scheinwerfern werden vier Quadrate auf den Boden projiziert, in die sich die Tänzer stellen und weiter gestikulieren, wie Comicfiguren in einzelnen Panels. Jede/r TänzerIn wiederholt immer wieder einen Bewegungsablauf. Dies geschieht energisch, man könnte fast sagen, verzweifelt, als wäre er in diesem Ablauf ebenso gefangen wie in seinem Panel. Vergleichbar mit einem Daumenkino werden in einer weiteren Sequenz in schneller Abfolge Bilder eingeblendet, die eine volle Flasche leer werden lassen. Die Tänzer demonstrieren hysterisch lachend ihren Rausch: „Show me the way to the next whiskey bar, oh don’t ask why, for if we don’t find the next whiskey bar, i tell you we must die!“ Die Musik der Doors wird später noch einmal aufgegriffen: Ein Tänzer jagt die anderen mit einer Pistole und nötigt sie zum Singen. Statt einem Schuss regnet es Konfetti. Die Szenen kommen lustig, aber auch makaber und beklemmend daher.

Um ihren Mann zu demütigen, verführt die Gastgeberin in Albees Drama den Besucher in der Küche, während dessen Frau sich betrinkt: Zwei Tänzer versuchen, die Monitore mit dem Antlitz der anderen beiden auseinanderzureißen, weil diese sie immer wieder zueinander rollen. Die betrogene Frau fällt in einen Wahn und versucht ständig, Schutz unter dem Pullover des anderen Tänzers zu suchen. Sie verfolgt ihn, als brauche sie seinen Schutz: Im Hintergrund zeigen die Bildschirme Kurzaufnahmen von einem Paar in flagranti. Am Ende liegt die schutzlose Tänzerin am Boden, wird von den anderen betrachtet. Es werden also immer wieder Querbezüge zu Albees Geschichte hergestellt: „Sometimes i feel like a motherless child“ – der eingespielte Negro Spiritual verbreitet eine traurige Stimmung und verweist möglicherweise auf die erfundene Geschichte des Ehepaares, das sich in seiner Phantasie einen Sohn konstruiert. Aus Wut über den Streit mit seiner Frau setzt der Ehemann dieser Geschichte ein Ende, indem er vom Tod des Sohnes erzählt.

Das Ende von body.Bilder.strip funktionierte nach der Devise „Medium im Medium“: Die vier Protagonisten nahmen auf einem geblümten Sofa Platz, kehrten dem Publikum den Rücken zu und ließen ihre eigene Vorführung auf den Bildschirmen Revue passieren. Will man alle Dimensionen des Stückes erfassen, muss man seine Hausaufgaben erledigen, recherchieren und Fragen stellen.

Moderner Tanz ist ausdrucksstark, berührt, weckt Assoziationen und Emotionen, ist auf rationaler Ebene aber eben oft nur schwer greifbar. Man könnte nun versuchen, in jede Szene Sinn hineinzuinterpretieren oder Bezüge zur literarischen Vorlage zu finden. Dies mag dem Stück seinen Rahmen geben, ist aber wahrscheinlich gar nicht die wichtigste Intention von Sebastian Eilers. Sein Anliegen war in erster Linie das Aufzeigen der Möglichkeit, die beiden sehr unterschiedlichen sequenziellen Künste Tanz und Comic so zu verbinden, dass sie sich gegenseitig ergänzen können.

 Eva Poll

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