Almut Linde ist ein Name, den man sich merken sollte. Es ist der Name einer mutigen Frau, einer Künstlerin. Ihre Kunst entsteht nicht in einem Atelier. „Mein Atelier ist die Welt“, sagt sie selbst. Sie zeigt die Welt – aber nicht so, wie wir sie im Alltag wahrnehmen. Sie zeigt die kalte Realität in all ihrer Schönheit und all ihren Widersprüchen: Soldaten bekommen den Befehl, „freiwillig“ an ihrem Kunstvortrag teilzunehmen. Sie bestreicht riesige Leinwände – mit acht Litern Schweineblut. Für eine Rauminstallation hängt sie filigrane Rohre auf, die zu schweben scheinen. Es sind Rohre, aus denen Brennstäbe für Kernreaktoren gemacht werden. Nicht umsonst heißt ihre Ausstellung im Erlanger Kunstpalais Radical Beauty. Realität und Kunst kollidieren in ihren Werken.
Jedes ihrer ausgestellten Werke hat eine innere Narration. Almut Linde will Dinge so zeigen, wie sie sind, ohne selbst zu werten. Realistisch und radikal. Um das zu erreichen, bedient sie sich einer Eigeninterpretation der Minimal Art: des Dirty Minimal. In ihren Konzeptionen herrschen Klarheit und die Reduktion auf geometrische Grundstrukturen vor. „Dirty ist das Unvorhersehbare, man könnte auch sagen: Das Göttliche.“ Mit bestimmten Vorstellungen geht Almut Linde an ihre Projekte heran, lässt sich dann aber auf unerwartete Situationen ein. Sie kommt an unzugängliche Orte, wie den Hochsicherheitstrakt der Erlanger Firma Areva. Gefährliche Situationen halten sie nicht von ihren Projekten ab. Sie war schon auf einem Übungsplatz der Bundeswehr und musste aufpassen, dass sie in die Fußspuren des vorausgehenden Soldaten trat, damit sie nicht versehentlich über einen Blindgänger stolperte.
Nichts als die Realität
Die Bilder, die sie macht, sind nicht gestellt. Es ist die Realität, wie sie sie vorfindet. Sie wartet auf den richtigen Moment, um auf den Auslöser zu drücken oder zu filmen. Urteile sollen sich die Betrachter selbst bilden. Durch die direkte Konfrontation mit gesellschaftspolitischen Themen wird man dazu gezwungen, sich Gedanken zu machen und stereotype Ansichten zu überdenken. Es sind Geschichten, die unter die Haut gehen:
Eine Zeitzeugin aus einem polnischen Dorf erzählt in einem Text von dem Leid am Ende des Zweiten Weltkriegs. Als die Russen einmarschierten und Frauen vergewaltigten. Sie erzählt von den Vergewaltigungskindern: „Die sind gestorben worden.“ Normalerweise wird über dieses Thema der Mantel des Schweigens gebreitet. Hier nicht.
Besonders eindrücklich ist die Soundinstallation in einem scheinbar leeren Raum im Kunstpalais. Man hört ein kleines Mädchen tschechische Kinderlieder singen, fröhlich und unschuldig. Dann sieht man den Schriftzug an der gegenüberliegenden Wand. Plötzlich vergeht einem das Lächeln. Das Mädchen ist neun Jahre alt. Und es ist eine Kinderprostituierte aus Tschechien. Mit völlig unerwarteten Wendungen in ihren Werken gelingt es Almut Linde immer wieder, Besucher aus der Fassung zu bringen.
Patricia Achter
Die Ausstellung „Radical Beauty“ von Almut Linde kann man noch bis zum 16. März 2014 im Kunstpalais Erlangen besuchen.