Bei der gestrigen Premiere von Henrik Ibsens Ein Volksfeind im Stadttheater Fürth – bearbeitet von Florian Borchmeyer und inszeniert vom Intendanten Werner Müller – wurde die 130 Jahre alte naturalistische Tragödie spektakulär experimentell aufgebrochen und (nicht immer radikal genug) modernisiert.
Im Stück entdeckt Dr. Thomas Stockmann, der Badearzt eines Kurortes, dass das Heilwasser des Bades industriell verschmutzt wurde und will diesen Skandal publik machen. Dabei erhält er anfangs die Unterstützung seiner Ehefrau, zweier oppositioneller Journalisten und ihren opportunistischen Herausgeber, Aslaksen. Doch gerade der Stadtrat, Stockmanns Bruder Peter, schafft es flott, die Öffentlichkeit gegen den Arzt zu mobilisieren, da die nötigen Änderungen unfinanzierbar seien und das Bad auf Jahre geschlossen werden müsste, was langfristig den Ruf der Stadt ruinieren würde. So kommt es also, dass Stockmann, der nur die wissenschaftliche Wahrheit und reale Missstände aufdecken will, am Ende als Volksfeind verhetzt sowie entlassen wird und nur noch seine Frau an seiner Seite hat. Gerade da kauft Stockmanns Schwiegervater und Industrieller Morton Kiil für Thomas und seine Frau die am Boden liegenden Anteile des Bades kauft, um den Arzt zur Entschuldigung und Revidierung zu locken, wodurch Stockmanns Wahrheitsliebe öffentlich wie Eigennutz wirkt.
Schon bald geht es nicht mehr nur um den Wasserskandal. Die bei Ibsen implizit und elegant eingebauten Konflikte, wurden in dieser Bearbeitung klar herausgearbeitet, etwa die Macht des Geldes, Umweltverschmutzung, Zivilcourage, Demagogie, der prinzipielle Widerstand gegen das konservativ-liberale System oder auch der ewige Konflikt der Brüder – der besonders gut durch die überzeugende Darstellung Stockmanns durch Sebastian König und des Stadtrates durch Heiko Ruprecht demonstriert wurde.
Die Baufälligkeit des politisch-sozialen Systems
Dazu wurde das Stück weitgehend modernisiert und abgewandelt: Die Stockmanns waren kein gutbürgerliches, etabliertes, etwas älteres Ehepaar mit drei Kindern mehr, sondern ein aufstrebendes junges, zeitlich überfordertes Paar mit Baby, das seinen Platz in der Gesellschaft suchte. Zwar war die Familie ergo zeitgenössischer, andererseits handelte es sich schon um ein soziologisches Klischee, zumal die Rollen der Kinder verloren gingen.
Verfremdet waren auch die Bühnenbilder, indem jedes wie eine Baustelle mit Abdeckplanen wirkte – was ostentativ das Provisorium der jungen Familie, die architektonischen Veränderungen der florierenden Stadt und die Baufälligkeit des politisch-sozialen Systems unterstrich.
Im Grunde handelte es sich um eine zeitgenössische Adaptierung von Ibsens Volksfeind, denn auch die Dialoge wurden stark geändert. Häufig war die Rede von einem scheiß System, von den Lügen der Gesellschaft, von der Wirtschaftskrise, harscher Medienkritik oder Titulierungen wie Linksfaschist. Dies zeigte viel progressiver und provokanter die politischen Missstände. Es war eine herrlich verfremdete Version des Stücks – aber bei allen Versuchen, solch ein episches Theater zu machen, gelang es nicht, auch noch den klassischen Fünfakter-Aufbau aufzubrechen und in einzelne Bilder im Brecht´schen Sinne zu splitten, sodass sie nicht unvermeidlich in die Katastrophe führen müssten.
Die Wirtschaft ist nicht in der Krise, sie ist die Krise!
Die Mankos wurden durch die exzellent experimentelle Rede Dr. Stockmanns vor dem Volk im vierten Akt komplett wieder wettgemacht: Stockmann sprach das Publikum selbst als Volk an, wurde erst am Sprechen gehindert und hielt dann eine mal radikalrevolutionäre, mal auch resignative Rede gegen die Gesellschaft. Viel mit Ibsen hatte es nicht zu tun, wenn grandiose Sätze fallen, wie Die bürgerliche Gesellschaft lebt auf verseuchtem Grund, Leben gegen Cash, Die Wirtschaft ist nicht in der Krise, sie ist die Krise! oder auch Die Gesellschaft ist klinisch tot; da wurden eher Rousseau, Marx und das Unsichtbare Komitee rezipiert. Immer wieder wurde Stockmann dabei von Schauspielern aus dem Publikum heraus attackiert, bis die Lage eskalierte. Durch den Aufruhr im Saal und dem Involvieren des Publikums, hätte dieses gut in der Lage sein können, sich seiner Rolle als Zuschauer bewusst zu werden und alle Zustände zu hinterfragen. Was hier auch als Kritik an der liberalen Mehrheitsfindung und der eigennützigen Bourgeoisie inszeniert wurde, dürfte nicht gegen die demokratische Majorität laufen, sondern eher gegen Populisten und Demagogen, die mit Hetze und vermeintlichen Finanzzwängen den Gemeinwillen verunglimpfen und das liberal-passive Volk manipulieren.
Auch das Publikum nahm das Stück (besonders Akt vier) mit schallendem Applaus auf, obgleich einige Kleinbürger trotz der brachialen Methodik den Grundtenor nicht verstanden haben. Insgesamt handelt es sich um eine provokante, progressive und epische Inszenierung, die größtenteils sehenswert ist.
Weitere Vorstellungen im Januar sind am 17.01., am 18.01., am 24.01., am 26.01., am 28.01. und am 29.01, jeweils um 19.30 Uhr im Stadttheater Fürth, Königstraße 116, 90762 Fürth. Weitere Informationen unter: http://www.stadttheater.fuerth.de/stf/home.nsf/contentview/C96C12CB31CC3B5AC1257B60003E959B
Philip J. Dingeldey