Wer kennt es nicht, ein typisches Wochenend-Kulturprogramm: Ein schnarchend langweiliges Museum mit hunderten Bildern, die Hälfte davon unzugänglich. Wie kann das Kunst sein, fragt man sich? Die Antwort ist so simpel wie unbefriedigend: Hängt doch hier in dieser Ausstellung, also ist es Kunst und du offensichtlich zu doof. Also redet man besser nicht darüber. Schluss damit, meint Nicole Zepter. – Eine Rezension von Timo Sestu
Wer Kunst liebt, darf Kunst hassen, sagt sie und hat gleich schon den Titel für ihre Polemik. Darin holt sie in einem Rundumschlag gegen den gesamten Kunstbetrieb aus: Gegen Museumsdirektoren, Kuratoren, Künstler, Kunstkritiker und richtet den dringenden Appell an das bevormundete Publikum: Schluss mit der Heuchelei!
Nicole Zepter geht es nicht darum, die Kunst an sich infrage zu stellen. Trotzdem meldet sie auch Zweifel an, ob die Prozesse, wie Kunst kanonisiert und als bedeutend deklariert wird, legitim sind. Fragen der Ausstellungsgenese würden im Kunstbetrieb jedenfalls selten transparent gemacht. Stattdessen zeugten mit Superlativen aufgeladene Texte von der Bedeutung der Künstler. Quasi jedes Museum rühme sich damit, in gewisser Hinsicht die bedeutendste Sammlung zu haben.
Es geht ihr vielmehr um die Arroganz eines Kunstmarktes, der weder die Kunst an sich, noch den Betrachter ernst nimmt. Kunstwerke werden sakralisiert und in künstlichen Kontexten präsentiert. Der Betrachter gesteht den Museumsdirektoren und Kuratoren eine Deutungshoheit zu und akzeptiert, dass er von Kunst offensichtlich keine Ahnung habe. Die Akzeptanz ist jedoch nur eine scheinbare. Zepter spitzt zu:
Wir glauben heute nicht mehr an die Kunst wie an einen Gott, wir glauben an die Kunst wie an den Weihnachtsmann. (S. 52)
Am Mechanismus beteiligt seien auch die Künstler selbst. Einige wenige profitierten von der Macht des Geldes auf Kosten unzähliger anderer Künstler, die vom Markt nicht berücksichtigt würden. Dass diese dichotome Aufteilung ihre Schwächen hat, ist leicht einsichtig. Das Abwägen zwischen künstlerischer Freiheit und wirtschaftlicher Kalkulation ist eines der großen Spannungsfelder des Kulturbetriebs (wir berichteten).
Zepters Argumentation wirkt manchmal etwas sprunghaft. Manch scheinbarer Widerspruch stellt sich dann jedoch als differenzierte, präzise Reflexion heraus. Dialektisch ist Zepters Buch freilich nicht, nein. Das hindert sie jedoch nicht daran, auch entgegengesetzten Positionen viel Raum zuzugestehen. Das abgedruckte Interview mit dem Leiter des Hamburger Bahnhofs, Eugen Blume, bleibt jedenfalls unkommentiert stehen.
Die Autorin macht es sich in ihrer klugen Auseinandersetzung wirklich nicht einfach. Sie feuert aus allen Rohren. Die Synthese aller Schüsse und Schlüsse gelingt beeindruckend. Nur im Fazit geht der Schrift die Streitlust aus. Was tun gegen die Kommerzialisierung und die Entmündigung des Rezipienten? Liest man Nicole Zepters Lösungsvorschlag, glaubt man, man habe das Problem vielleicht doch nicht recht verstanden. Und nun? Kunst hassen hassen? Mitnichten!
Nicole Zepter, Kunst hassen. Eine enttäuschte Liebe. Stuttgart: Tropen, 2013, 139 S., € 12, ISBN 978-3-608-50307-4.
Danke Timo. Das ist m.E. eine sehr gute Analyse. So habe ich das Buch auch wahrgenommen. Persönlich war ich mir nicht ganz sicher, ob ihre Gleichungen tatsächlich logisch schlüssig sind. Manche Dinge schienen nicht so richtig zusammen zu passen.
Mal sehen, vielleicht überprüfe ich’s mal. Schade, dass es da so gar kein Lösungskonzept gibt. Der Kulturinfarkt lässt sich da viel besser an. Ist auch ein super interessantes Buch!
Ja, also mein Eindruck war am Ende, dass ein nettes Lächeln des Museumspersonals die halbe Miete zur Lösung des Problems wäre. Das bezweifle ich ja stark.
Das wird durch den Mindestlohn ab 2017 dann ja vermutlich in Deutschland realistisch zu erwarten sein. Ich hab es aber auch als Apell gelesen, ins Museum zu gehen und nicht nur in das Pissoir von Duchamp zu pinkeln, sondern überall hin.
Dazu kommt die Frage, ob wir unsere Künstler von einem Markt abhängig machen sollen oder ob man Kunst nicht per se und immer subventionieren muss. Das ist halt trotzdem weder ein Garant für Unabhängigkeit noch für Qualität…
Stimmt. Aber Qualität kann Kunst nie garantieren. Es sei denn, sie hört auf Experiment zu sein, etwas zu wagen. Dann wären wir beim Kulturdesign. Auch schön.