Am 13. November erlebte das Stück „Küsse und Bisse“ im Gostner Hoftheater seine Uraufführung – eine Collage aus Szenen verschiedener prominenter Dramen. Eine Analyse von Timo Sestu
Insgesamt elf Stücke zieht Regisseur Barish Karademir für seine Inszenierung heran. Es geht, laut Programmheft, um Liebe, Eifersucht, Verführung, Gewalt und Wahnsinn, um „Frauen, die mit den Spannungen zwischen Emotionen, Selbstverwirklichung und gesellschaftlichen Konventionen kämpfen.“
Musterhaft für diesen Konflikt ist freilich Kleists Penthesilea, deren Entscheidungsmonolog um die Eroberung Achills deswegen die erste Szene darstellt. Sie ist eine starke Frau mit dem festen Willen gegen die Konvention ihr Ziel zu realisieren. Die Kampfrhetorik konterkariert die Emotion der Amazonenfürstin.
Die von nun an gezeigten Frauenfiguren sind ungleich schwächer. Gretchen, die in ihrem verliebten Wahnsinn ihre eigene Rettung vereitelt und sich der Gnade Gottes anvertraut. Antigone wird für ihre Standfestigkeit bestraft und kann dem kein Mittel entgegensetzen. Rose Bernd (Hauptmann) gerät für ihre Hingabe an Flamm in arge Nöte und die Laszivität der Marie liefert sie Woyzeck an das „blutig Eisen“. Es stimmt also schon: Liebe, Eifersucht, Verführung, Gewalt und Wahnsinn. All diese Facetten werden angeschnitten und aufgezeigt. Sie enden jedoch alle gleich: Die Frau ist am Ende das Opfer, der Mann triumphiert.
Gleichzeitig kommt mit Falk Richters „Trust“ eine kabarettistisch anmutende Materialismuskritik ins Stück: Eine Frau, die sich selbst über Äußerlichkeiten definiert, wenngleich ihre innere Stimme sie mahnt: Ich schaffe es nicht mehr jemanden glücklich zu machen. Apropos Kabarett: Zwischen den Szenen sind auch immer wieder musikalische Elemente platziert, die eine unmissverständliche Botschaft propagieren.
„Du willst mich so, wie alle sind. Du merkst nicht, dass ich anders bin. Hau ab! Ich bin nicht deine Fickmaschine. Spritz! Spritz!“
Die Szene des Kipphardt-Dramas „Bruder Eichmann“ überrascht zunächst. Im Prinzip geht es darin um eine große – in weiten Teilen historische – Apologie des KZ-Organisators Adolf Eichmann. Der Täter versucht sich hier als Opfer seiner Umstände darzustellen. Ein freilich unglaubwürdiges Unterfangen.
Wie steht es also um die Frauen, die Opfer der vielen Liebesdramen? Müssen sie Opfer werden? Sollten die Dramenfiguren sich emanzipatorisch dem Text gegenüber verhalten?
Am Beispiel der letzten Szene der Penthesilea wird das gleich exemplarisch vorgeführt. Die pathetische Sprache wird ins Lächerliche gezogen. Die Bühne, die davor vor allem von Statik beherrscht war, wird plötzlich lebendig. Erst jetzt wird es richtig theatral, keine Mikrofone mehr, keine Songs, keine Szene, die nur vom Text getragen wird.
„Küsse und Bisse, das reimt sich. Und wer recht von Herzen liebt, mag wohl das eine für das andre greifen.“
Man könnte vielleicht sagen, die Penthesilea wird hier einer feministischen Dekonstruktion unterzogen. Sie wird als eine entlarvt, die – vom Pathos entkleidet – nichts begreift und Phrase an Phrase reiht. Letztlich ist die genau so eine hohle Birne, wie all die anderen Lulus und Maries.
Am Ende werden dann große Frauen gezeigt, Angela Merkel, Mutter Teresa, Margaret Thatcher, Marlene Dietrich, Alice Schwarzer und andere. Keine Frauen, in die sich Faust verlieben würde oder an die Woyzeck ein Messer legte. Ganz anders sind sie, die großen historischen Frauen. Warum es keine Dramen über sie gibt? Kommt vielleicht noch.