Fische fallen nicht vom Himmel

Ingolstadt-EndeDesRegens3-JochenKlenkIm Jahr 2039 sieht die Welt nicht viel besser aus. Die Meere sind leer gefischt, der Regen will gar nicht mehr aufhören und alle reden vom Weltuntergang. Gott oder Wunder gibt es scheinbar nicht.

Wie ist es also möglich, dass ein Fisch vom Himmel fällt? Gabriel York hält einen glitschigen Beweis dafür in seinen Händen und versteht die Welt nicht mehr.

Was nach diesem Abend allerdings verständlich ist: Dass das Stadttheater Ingolstadt mit seiner Inszenierung von Andrew Bovells „Das Ende des Regens“ den Preis als herausragende Gesamtproduktion erhalten hat.

Alles beginnt im Jahre 1959, im verregneten London. Unter mysteriösen Umständen bricht Henry Law (Ralf Lichtenberg) nach Australien auf und lässt seinen achtjährigen Sohn Gabriel und seine Frau Elizabeth (Victoria Voss/ Manuela Brugger) in England zurück. Später, 1988, begibt sich Gabriel Law (Anjo Czernich) auf der Suche nach seinem verschollenen Vater ebenfalls nach Australien. Dort lernt er Gabrielle York (Carolin Schär/ Ingrid Cannonier) kennen. Die beiden teilen nicht nur denselben Vornamen sondern haben auch ein eng verflochtenes Schicksal. Denn neunzehn Jahre zuvor wurde Gabrielles siebenjähriger Bruder tot aufgefunden und das, kurz nachdem Henry Law in Australien angekommen war. Zwischen Gabriel und Gabrielle entwickelt sich nach kurzer Zeit eine romantische Affäre, die durch Gabriels tödlich endenden Autounfall jedoch ein abruptes Ende findet. Gabrielle benennt den gemeinsamen Sohn nach seinem Vater und heiratet ihren Retter Joe Ryan (Sascha Römisch). Gabriel York (Ulrich Kielhorn)  wird 2039 ein Fisch auf die Schuhe fallen. Und damit sind wir wieder beim Anfang. Auch er wendet sich im Laufe seines Lebens erst von seiner Mutter und später von seinem eigenen Sohn Andrew (Enrico Spohn) ab. Ein Teufelskreis also, in dem die Konflikte zwischen älterer und jüngerer Generation vorprogrammiert zu sein scheinen.

Saturn frisst seine Kinder

Andrew Bovell verfasste „Das Ende des Regens“ in der düsteren Zeit nach dem 11. September. In einer Pariser Ausstellung stieß er auf ein Gemälde des spanischen Malers Francisco de Goya. „Saturn verschlingt seine Kinder“ ist ein äußerst kraftvolles Bild, das man durchaus auf den Generationenkonflikt übertragen kann. Vorausgesetzt man akzeptiert die Metapher, dass Kinder die Zukunft repräsentieren. Die Figur eines Vaters kann sehr liebevoll und behütend, jedoch auch stark zerstörerisch sein.

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„Lieber Sohn,

in der Wüste, ein einer klaren Nacht, wenn man weiß, wo man hinschauen muss, kann man den Planeten Saturn sehen. Das Wort Planet stammt aus dem Griechischen und bedeutet Wanderer. Saturn wurde nach dem römischen Gott benannt, der seinen Sohn auffraß. Verzeih mir.

Dein dich liebender Vater,

Henry Law.“

Gabriels Vater Henry hat große Sehnsucht danach, ein besserer Mensch zu sein. Als Elizabeth Law herausfindet, dass ihr Mann pädophile Neigungen hat, verstößt sie ihn nach Australien. Ihr gemeinsamer Sohn Gabriel soll niemals etwas über den Grund seines Verschwindens erfahren. Die Postkarten Henrys an Gabriel enthalten nur wüste Vorhersagen über das Wetter und das Ende der Welt und geben Gabriel lediglich einen Hinweis darauf, wie stark sich der Vater nach seinem Sohn sehnt. Später entdeckt Gabriel wie durch einen Zufall einen ausgeschnittenen Zeitungsbericht, der belegt, dass ein englischer Mann in Australien verschwunden sei- ein Hinweis auf Henry? Die Suche nach seinem Vater kostet Gabriel letztendlich sein Leben. Und so stehen mehrere Tote in der Verantwortung Henry Laws: Sein eigener Sohn, Gabrielles Bruder Glen, Gabrielles Eltern, die Selbstmord begangen haben, sowie Gabrielle, deren Leben bis zur Demenz und ihrem Selbstmord immer um Gabriel kreist.

In ihrer Inszenierung findet Caro Thum einen weiteren Zugang zu dem Thema Generationenkonflikt. In Zeitraffern offenbaren auf das Bühnenbild projizierte Videoeinspielungen der Videokünstlerin Jana Schatz die Zerstörungen der Vergangenheit bis zu den Zeitstationen, in die die Familiengeschichte eingebettet ist. Atombomben, Flieger die in die Türme des WTC rasen sowie berühmte Bilder aus dem Irakkrieg und aus Guantanamo zeigen Momente, in denen eine Generation erneut schmerzhafte Entscheidungen gefällt hat. Die Bilder wechseln mit stark verzerrten Ausschnitten aus Präsidentenreden und sind mit einem Rauschen und quietschenden Tönen hinterlegt.

Das Bühnenbild von Wolf Gutjahr besteht aus mehreren Ebenen. Einmal der bereits angesprochenen medialen Ebene, die im Mittelgrund durch einen kleinen Fernseher ergänzt wird, der flackernd das Jahr anzeigt, in dem die aktuelle Handlung stattfindet. Immer sind jedoch auch die Charaktere früherer oder zukünftiger Generationen auf der Bühne. Sie agieren meist stumm oder passiv. In wenigen Szenen kommt es dazu, dass sich zwei Handlungsstränge im rasanten Wechsel ereignen und meist nur dann, wenn diese auf sonderbare Weise miteinander verknüpft zu sein scheinen.

Das Zimmer einer Wohnung schwebt im Mittelgrund der Bühne. Hier begegnen sich die unterschiedlichen Figuren der unterschiedlichen Zeiten, scheinen sich aber gegenseitig nicht wahrzunehmen. Im vorderen Zentrum der Bühne sind Holzbretter und heraus gebrochene Türen übereinander gehäuft, die knarren und wackeln, sobald ein Schauspieler über sie balanciert. Herumgeworfene Stühle stellen in manchen Situationen eine Parkbank oder die Vordersitze eines Autos dar oder schaffen eine chaotische, unstete Atmosphäre.

 

Emotionaler Spiegel

„Das Stück hat Kommunikation“, hat Elias Perrig, der das Stück bereits im Stadttheater Bern inszeniert hat, einmal gesagt. So lassen etliche Situationen Vertrautheit entstehen und emotional nachvollziehen. Das angespannte Gespräch beim Essen, die leere Diskussion eines verheirateten Paares, das sich im Grunde nichts zu sagen hat, die Debatte über das Wetter und ob der andere einen Regenschirm dabei hatte. Und auch die Tatsache, dass man ein Problem nicht lösen kann, indem man es nach Australien verbannt.

Bei Andrew Bovells Werk handelt es sich um ein sehr starkes Ensemblestück. Vor allem die Tatsache dass zwei Frauen jeweils in zwei unterschiedlichen Altern dargestellt werden, erfordert eine gute Eingespieltheit des Ensembles.

Insgesamt muss die Inszenierung in all ihren Facetten gelobt werden. Die Stückvorlage trägt natürlich ihr Übriges zum Gelingen dieses Abends bei. Und dennoch kann man sagen, dass diese Inszenierung den Preis der bayrischen Theatertage verdient hat. Dafür sprechen das Bühnenbild von Wolf Gutjahr, Kostümdesign von Kristopher Kempf, Jana Schatz Videoeinspielungen, nicht zu vergessen die schauspielerische Leistung des Ensembles- kurz und gut: Das Gesamtergebnis, das auch die Zuschauer am Ende mit vierfachem Applaus belohnen.
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Was am Ende übrig bleibt

„Ich bin mein ganzes Leben vor meiner Vergangenheit davongelaufen und doch habe ich mein ganzes Leben lang Bruchstücke davon in dieser alten Kiste mit mir herumgetragen.“

Gabriel York ist davon überzeugt, dass sein Sohn Andrew die Rätsel dieser Kiste entschlüsseln kann. Zum Vorschein kommen: Ein Buch Diderots von Elisabeth Law, mit dem man- ihrer Meinung nach- die Welt verändern kann.

Ein alter Kinderschuh Glen Yorks, der mit sieben Jahren ermordet wurde. Die leere Urne Gabriel Laws, dessen Asche Gabrielle jahrelang im Küchenschrank aufgehoben und schließlich verspeist hat. Die Postkarten von Henry Law an seinen Sohn sowie der Zeitungsbericht. Alle Puzzleteile passen am Ende in eine kleine alte Kiste.

Am Ende bleibt folgende Botschaft: Wir haben immer die Möglichkeit, Zerstörungen aus der Vergangenheit in der Zukunft zu korrigieren. Gabriel York legt seinem Sohn die Hand auf die Schulter und sagt:

„Die Vergangenheit ist ein Rätsel. Und trotzdem wird sie vielleicht einfacher zu erklären sein als dieser Fisch.“

Nach einer weltuntergangsähnlichen Stimmung hat nun auch der ewige Regen aufgehört. Ein Vater findet seinen Sohn wieder. Und Gabriel serviert einen recht außergewöhnlichen Fisch, während sich alle Familienmitglieder am Tisch einfinden. Henry Law nimmt am Kopfende  Platz.

 

von Anna Greger

 

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