Der große Gatsby – Oberflächlichkeit und Tiefenillusion

Ein Text von Marian Freistühler

Leser, Zuschauer und Kritik

In Erwartung von Leinwandadaptionen literarischer Werke verhält sich das belesene Kinopublikum gern ambivalent. Skeptisch die Kühnheit der Filmbranche beäugend kauft man sich schließlich nicht weniger neugierig und gespannt doch eine Karte und begutachtet nun also kritisch wie etwas in bunten, von Ton und Musik begleiteten Bewegtbildern auf weißer Leinwand erzählt wird, das man vorher nur von weißem Papier mit schwarzen Buchstaben darauf gekannt hatte.

Dieser freudige Pessimismus stellt die Frage nach den Erwartungen des Zuschauers an den Film und damit in letzter Konsequenz die Frage nach dessen Rezeption, das heißt ebenfalls: die Frage nach der Kritik. Welche Rolle spielt hier die literarische Vorlage?

Eine Adaption ist immer auch eine Interpretation und sollte als solche im Rahmen einer anderen Kunstform mit ganz eigenen Charakteristika und Gesetzmäßigkeiten in keinen wertenden Vergleich mit dem Original gebracht werden. Ich glaube nicht, dass ein besseres Buch einen Film schlechter macht. Oder anders: Was zählt ist auf’m Schirm. Die Anwesenheit eines Originals und die damit verbundenen konkreten Erwartungen des Publikums sind innerhalb der Adaption nur dann relevant, wenn sie dies selbst, das heißt aus sich heraus, dazu macht.

Ich werde also die neuste Verfilmung des Gatsby als eigenständiges Werk betrachten und keinen wertenden Vergleich mit der Romanvorlage anstellen.

 

Wie Multimillionäre feiern

Nach Romeo & Julia (1996) widmet sich der australische Regisseur Baz Luhrmann erneut großer Literatur, um sie in Film zu übersetzen. Wer außerdem Luhrmanns Moulin Rouge! (2001) oder Australia (2008) kennt, konnte erwarten, dass dies kein Film der leisen Töne wird. Und hier bleibt der Regisseur seiner Linie dann in der Tat treu, wird sogar seine größten Fans noch überraschen, konnte man doch über einen derart pompösen Bilderrausch selten staunen.

Der große Gatsby erzählt die Geschichte von Nick Carraway (Tobey Maguire), einem jungen Mann, der noch nach seiner Bestimmung sucht und in die Nachbarschaft Jay Gatsbys (Leonardo DiCaprio) zieht, einem Multimillionär, dessen Geldquellen mysteriös bleiben und über den bei allen ihn umrankenden Mythen bald klar wird: er möchte seine Liebe des Lebens, Nicks Cousine Daisy (Carey Mulligan), zurückerobern und sie ihrem kaum weniger gut betuchten Ehemann Tom Buchanan (Joel Edgerton) ausspannen. Dafür scheut er keinerlei Mühen, schmeißt die größten Partys in ganz New York und muss schließlich dennoch erfahren, dass er die Komplexität von Beziehungen unterschätzt hat und dass sich von der Vergangenheit nicht frei zu kaufen ist.

Zu Beginn des Films stellt Luhrmann Handlungsort und Figuren vor: Nick, laut Akte schlafloser Alkoholiker, erzählt seinem Psychiater von der berauschenden Zeit als er Gatsby kennenlernte und soll alles Erfahrene zu Papier bringen. Dies bildet den Rahmen der Erzählung, die nun in die Vergangenheit eintaucht, in der uns die hübsche Daisy und ihr Ehemann Tom samt Affäre ebenso gezeigt werden wie das New York der 1920er Jahre. Durch ausgedehnte Computer-Kamerafahrten bzw. -flüge über die halbe Stadt vermittelt Luhrmann hierbei ein Gefühl für den Raum, in dem die Geschichte spielt.

Diese Exposition kommt einerseits äußerst fulminant daher, hastet unter Nicks Off-Kommentar von einem imposanten Set zum nächsten, die Montage ist bisweilen hektisch, andererseits aber nimmt sie sich alle Zeit der Welt, um einen Mythos aufzubauen, um eine Figur durch ihre Abwesenheit zu überhöhen. Alle feiern auf Gatsbys Partys, jeder kennt mindestens ein Gerücht über ihn, doch niemand hat ihn je kennengelernt. Und so sieht auch der Zuschauer mehrmals nur den Ring an der Hand, die die Gardinen zur Seite schiebt und so den Blick auf Carraways Haus frei gibt. Aller Rausch, alle Party, beinahe jedes gesagte Wort kulminiert also schließlich in dem Moment, in dem Jay Gatsby sich endlich umdreht und wir sein Lächeln zu sehen bekommen, das Nick im Off als außergewöhnlich kommentiert. Dass dabei im Hintergrund der Nahaufnahme rechts und links des Lächelns ein Feuerwerk in die Luft geht, ist der konsequent-kitschige Tusch und muss wahrscheinlich gar nicht mehr erwähnt werden.

Luhrmann nimmt die hier ohnegleichen verschwenderischen Roaring Twenties zum Anlass zahlreicher Tanzeinlagen zu lauter Musik, glitzernder Kleider und für auf die Kamera zu und von ihr weg fliegendes 3D-Konfetti & Co. und lässt so keinen Zweifel daran, unter welchen Vorzeichen er die Geschichte erzählen wird. Er entscheidet sich für einen offensiven Umgang mit dem Sujet, der an Disney auf Ecstasy denken lässt, Gatsby lebt hier in einem Märchenschloss. Protzige Kulisse, Kamera und hektische Montage beteiligen sich an dieser kollektiven Ekstase, sind entfesselt und scheinen keine Grenzen mehr kennen zu müssen. Dass sich diese formale Gestaltung keineswegs nur auf die Partys beschränkt, sondern den Film von der ersten bis zur letzten Minute durchzieht, ist Grund für das sich einstellende Gefühl einer extrem kurzweiligen diegetischen Welt.

Die Materialschlacht, die Luhrmann hier auffährt, prägt diese Welt gleichermaßen wie seinen formal-filmischen Ansatz. Es geht nicht um das, was es braucht, sondern um das, was geht. Und da bedarf es keiner großen Phantasie auf Seiten der Zuschauer mehr, Luhrmann kann uns das alles zeigen.

Fassadenkabinett

Bei der Verbindung von Historie und Kitsch ist der Gedanke an Marie Antoinette (2006) von Sofia Coppola nicht weit, die in ihrem Film den Hofstaat Ludwigs XVI. (Jason Schwartzman) grotesk überzeichnet und ihn von Marie Antoinette (Kirsten Dunst) in ihren All-Stars und zu moderner Musik durchschreiten lässt. Sie genießt den Überfluss, den wahr gewordenen Prinzessinentraum eines jeden Mädchens und kann sich gleichzeitig nicht weniger gut über Steifheit und Kitsch amüsieren. Sie holt so alles Abgehobene auf den weltlichen Boden der Tatsachen zurück – ein gekonnter Kniff, der die Figuren ihrer Umwelt gegenüber positioniert und ihr Gefühlsleben nachvollziehbarer, glaubwürdiger macht. Der Protz ist für die Figuren nicht nur Segen, sondern auch Fluch, Coppola versucht aber nicht ihn als bedrohliches, strenges und unterdrückendes Ungetüm zu inszenieren, sondern bricht ihn ironisch, zeichnet ihn somit vielschichtiger und bringt ihn dem heutigen Zuschauer außerdem auf eine ehrliche Weise viel näher als jede Gefühlsheuchelei in gängigen Kostümfilmen.

Nun ist auch Luhrmanns Gatsby ein Film geworden, der sich der Historie mit modernen Kniffen nähern will. Dies geschieht mithilfe des 3D-Effekts ebenso wie durch die Wahl der Filmmusik, die Stücke von Jay-Z, Lana del Rey, The xx und Gotye enthält. Beides steht hier aber keineswegs im Dienste eines geistreichen Kommentars zur abgebildeten Glamour-Welt vergangener Tage. Der vermeintlich moderne Blick ist stattdessen schnell als bieder zu entlarven, denn er legt lediglich diese dünne, moderne Schablone auf einen altmodischen Inhalt und verkauft ihn dann schon als neu.Das ist aber weder besonders einfallsreich noch mutig und eröffnet dem Zuschauer keinerlei neue Perspektive auf den Film und seine Figuren. Vielleicht kümmert er sich um das schnell gelangweilte Publikum, indem er ihm schon Bekanntes auftischt, ist aber als vermeintlich moderne Verbindung von Form und Inhalt nicht durchdacht. So verträgt sich beispielsweise im Sinne der Ästhetik des Films nachbearbeitetes historisches Bildmaterial, mit dem uns der Regisseur zu Beginn des Films die 20er Jahre näher bringen will, gar nicht erst mit eben dieser Ästhetik.

Luhrmann hätte ähnlich wie Coppola all die zelebrierte Oberflächlichkeit nutzen können, um seine Figuren im Kontrast dazu vielschichtiger zu zeichnen, doch das bleibt nicht nur in der Exposition aus, es findet auch danach nie statt. Es muss jetzt gehastet werden zu verschiedenen Stationen innerhalb der Geschichte, für die Luhrmann sich dann zwar durchaus Zeit nimmt, die so allein stehend aber Lücken lassen und es demjenigen, der die Romanvorlage nicht kennt, erschweren, den Handlungen, Anschuldigungen und Figuren nachvollziehbar zu folgen.

Es gibt kein Einhalten, keine Pausen fürs Sichselbstbemerken und so rauscht alles an einem vorbei, ohne dass man Anteil daran nehmen könnte oder müsste, an der Oberfläche wird nicht gekratzt. Stattdessen bleibt in seiner handwerklichen, aalglatten Perfektion und seiner emotionalen Armut alles ein weit entfernter, bestenfalls Staunen machender Bilderrausch.

Es ist wohl zum Großteil DiCaprios vielschichtigem Spiel zu verdanken, dass man nicht jeden Bezug zu den Figuren verliert. In seinem Gatsby lässt sich eine bewegende Geschichte hinter der Fassade erahnen, blitzt die Unsicherheit trotz allen Reichtums immer wieder auf. Das wird umso unübersehbarer, als er hier neben allzu platten Charakteren agiert. Carey Mulligan ist im Spiel des doppelten Love Interests schlicht unterfordert, DiCaprios langjähriger Freund Tobey Maguire stapft mit seinen großen und naiven Augen durch die Märchenwelt und sein Nick Carraway bleibt nichts weiter als ein eindimensionaler Geschichtenerzähler. Dem überlebensgroßen DiCaprio/Gatsby einen ebenbürtigeren Begleiter an seine Seite zu stellen wäre hier die viel interessantere Konstellation gewesen. Joel Edgerton spielt den bisweilen cholerischen Antagonisten Tom Buchanan gut, dass man aber auch für seine Figur kein rechtes Gefühl bekommt, ist der Inszenierung geschuldet.

Die bedient sich gegen Ende des Films lieber glorifizierender, weich gezeichneter Rückblenden zu einem früheren Zeitpunkt der Geschichte, an dem noch alles rosig aussah. Dieser verzweifelte Versuch Luhrmanns uns zu berühren steht Pate für alles fehlende Fingerspitzengefühl, für die schnellen Griffe zum nächstbesten Brecheisen – ein Film, der sein Publikum nie fordert, sondern lediglich beeindrucken machen will.

 

Nur dabei statt mittendrin

Der geistigen Unterforderung steht eine optische Überwältigung des Zuschauers gegenüber.

Dass Luhrmanns ohnehin übersättigte Bilder hier erstmals in 3D zu sehen sind, wirft wie bei kaum einem anderen Film zuvor die Frage nach der Wirkung des Effekts in Verbindung mit historischen Bildinhalten auf. Denn es handelt sich hier nicht um das erwartbare 3D-Kino, keine CGI-Wesen oder Piraten weit und breit, stattdessen klassische Literatur zur Vorlage für ein filmisches Drama.

Was für die ersten Betrachter früherer Formen des heutigen Kinodispositivs schockierend und furchteinflößend gewesen sein mag – der Übergriff des Filmraums auf den Zuschauerraum nämlich (man denke an die Flucht der Zuschauer vor dem auf der Leinwand einfahrenden Zug) – wird heute mit neuen technologischen Mitteln zu intensivieren versucht. Der nur noch schwer zu überraschende, äußerst seh-erfahrene Zuschauer soll sich wieder wundern und näher an das Geschehen auf der Leinwand rücken, „mittendrin“ sein.

Diese vermeintliche Fähigkeit des 3D-Effekts verkehrt sich in Der große Gatsby bemerkenswerterweise in ihr Gegenteil. Die Tiefenillusion entfernt den Betrachter von der filmischen Welt, weil sie sie permanent kulissenhaft wirken lässt, wie eine bunte Revuenummer, in der menschliches Drama nun mal keinen Platz hat. Dieser Film hat keine Patina, alles wirkt merkwürdig unecht – so in letzter Konsequenz auch die Figuren und ihre Geschichte.

Die effektorientierte Form mag dann Hand in Hand mit dem Inhalt gehen, wenn es Luhrmann um die Bebilderung des Verschwenderischen und Oberflächlichen geht. Wenn es aber schließlich auch um Figuren und ihre Psychologie gehen soll, um intellektuelle statt bloß instinktive Teilhabe des Publikums am Film, wirkt sie jeder Tiefe entgegen und hält den Film auf emotionaler Distanz.

Spätestens hier stellt sich die interessante Frage, ob und inwiefern Der große Gatsby in 2D ein anderer Film ist.

 

Zu groß?

Steven Soderbergh, der in Cannes seinen neuen Film Behind the Candelabra vorstellte, attestierte den großen amerikanischen Studios jüngst in einem viel beachteten Vortrag auf dem Filmfestival in San Francisco immer weniger Mut zu kleineren Produktionen, weil diese paradoxerweise im amerikanischen System ein größeres finanzielles Risiko bedeuteten als Blockbuster. Und das ist Der große Gatsby nun geworden, nicht mehr und nicht weniger: 100-Millionen-Dollar-Eventkino, das sich seinem Publikum mit perfekt bombastischen Effekten anbiedert und alles Geld so verwendet, dass der finanzielle Erfolg möglichst wahrscheinlich ist, da werden sich auch die Ausgaben für einen ruhmreichen Soundtrack lohnen. Es geht um ein Publikum, das die Romanvorlage wahrscheinlich niemals lesen wird, sich in der Musikvideo-Ästhetik aber schnell zu Hause fühlt. Verlorene Mühe jedes Jammern über die meist einfallslose Blockbuster-Kultur, das ist nicht neu. Bemerkenswert ist hier das Gewand, in dem sie daherkommt, ein von sich selbst als „Bohemian“ sprechender Regisseur inklusive, der bei der Pressekonferenz in Cannes feststellt, dass alles in seinem neuen Film nur dem einen Zweck dient: das Wesen des Romans zu enthüllen.

Man kann dem Film gewisse Qualitäten nicht absprechen. Luhrmann beherrscht die Gestaltung beeindruckender Bilder, ist ein Meister der Stilisierung, der Choreografien. In seinem neuen Film aber verliert er sich völlig in der nie da gewesenen Perfektion dieser Disziplinen und vernachlässigt dabei die Tiefe jenseits der Bildoberfläche. Alle schönen Bilder und Effekte ändern nichts daran, dass Der große Gatsby, wenn man ihn einmal so ernst nimmt wie Luhrmann ihn gern verstanden wüsste, ein Desaster geworden ist. Er ist wie eine der zahlreichen Partys, die er euphorisch bebildert: Ein sinnlicher Rausch, oberflächlich mit lauter flüchtigen Bekanntschaften, geil, aber hirnlos. Und am nächsten Morgen ist alles schon wieder vergessen.

In Cannes feierte man die große Party sogar weiter bis auf den roten Teppich, der von aus Oldtimern hüpfenden, kostümierten Tänzern und Tänzerinnen okkupiert wurde. Blöd nur, dass es währenddessen wie aus Kübeln regnete. Kein Konfetti.

 

Kommende Vorstellungen im Manhattan-Kino in Erlangen:

Heute, 20:30, 3D;
Mittwoch, 29.05.: 18:00 2D, 20:30 (in 3D)
Donnerstag, 30.05.: 15:15 in 2D, 17:45, 20:30 (jeweils in 3D)
Freitag, 31.05.: 17:45 und 20:30 (jeweils in 3D)
Samstag, 01.06.: 15:15 in 2D, 17:45 und 20:30 (jeweils in 3D).

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