Alles scheint so wie immer: Viele Leute stehen an der Hauptstraße, dabei ist es eineinhalb Stunden später als sonst: um halb zwölf erst beginnen die „Alptraumfiguren“ des interdisziplinären Forschungskollegs Karl Nimeni. Doch als man den Raum eintaucht, breitet sich Betretenheit aus. Grund:
Das Alptraumarchiv soll abgeschafft werden! Was sich auf den ersten Blick ganz gut anhört (endlich keine Alpträume mehr!), erweist sich auf den zweiten Blick als Trugschluss: Das ist doch Kulturgut, was hier eingestampft werden soll! Jahrelang wurden die Alpträume erschaffen und verwendet, das kann man doch nicht so einfach aufgeben! Doch das Management bezweifelt die Wirkung des Alptraumarchivs, wie es in einem offenen Brief heißt. Träumenden sei so die Apltraumkultur nicht näherzubringen und auch eine „dauerhafte Bindung der Besucher an ihre Alptraumwelt“ sei nicht gewährleistet. ‚Antiwerbung für Alpträume‘, so der grausame Vorwurf.
Es erscheint wie ein letztes Aufbäumen des Alptraumarchivs: Ein Mitarbeiter in goldglänzendem Ganzkörperanzug stempelt wie gewohnt die Anträge ab, doch bald streikt der Drucker und die Abteilung macht dicht. Die Szenerie wird gerahmt von sympathisch-altmodischen Röhrenfernsehern, die nur ein Standbild zeigen. Über Kopfhörer taucht man tief ein in die Welt der Alpträume. Wie das Unterbewusste sich in die Träume stiehlt, dringen die Stimmen in den Kopf. Das Bild auf dem Fernseher dazu, das sich bewegt, aber gleichzeitig stillsteht.
Dunkle Gestalten mit pompösen Masken bewegen sich unbemerkt oder bewachen finstere Tore. An einem Mobile hängen kleine Gegenstände und Puppen, die wie Sorgenpüppchen aussehen, die man sich nachts unters Kopfkissen legt. Alles muss ins Gleichgewicht, doch ist das überhaupt noch möglich?
Ein Alp kommt aus der Dunkelheit
Sogar hautnah kann man einen grausigen Traum erleben, mit dabei: ein lateinisch-deutsches Wörterbuch. Eine schwarze Gestalt liest verschwörerisch die fremd klingenden Wörter vor. Beschwört sie den Alp oder will sie ihn so abwehren? Von hinten schleicht er sich an, ein unheimliches Wesen, er ist kaum zu erkennen in dem schemenhaften Licht. Die Gestalt scheint magisch angezogen zu sein von dem schrecklichen Alp. Sie nähern sich, sie tanzen? Nein, der Alp wirft sie immer wieder brutal zurück.
Eine seltsame Melancholie legt sich über die BesucherInnen des Forschungskollegs Karl Nimeni. Ist das Alptraumarchiv noch zu retten? Diese Tür ist wohl geschlossen. Das soll es also gewesen sein, das letzte Glockenspiel in diesem Rahmen. Gegen Ende beginnt die Musik wie gewohnt, doch eine ausgelassene Stimmung will sich nicht recht einstellen.
Am 22. Juni wird sich das Kolleg noch einmal zeigen und einen Parcours in der Stadt errichten, doch es wird nicht wie früher werden.
Johanna Meyr