Lassen Sie uns den allgemeinen Authentizitätsporno hinterfragen: „Ich bin ein Arschloch, ich bin eine Armee und ich bin wichtig!“ Inwiefern ist ein junger Mensch in der Lage, einen geeigneten Beruf zu finden? Mit dieser Frage beschäftigt sich „Anton Reiser“. Wie oft erfindet sich ein junger Mensch neu, um das zu werden, was er am Ende doch nicht wird?
Anton Reiser – Held der Geschichte – erfindet sich ziemlich oft neu, immer anhand klassischer, inspirierender Lektüre: In seinen jungen Jahren begeistert er sich erst für die Erzählkunst der Griechen und Römer und will Schriftsteller werden und dann – nach eifriger Lektüre der Bibel- ein feurig redender Priester. Irgendwann bei Goethes „Faust“ und Shakespeare’s „Lear“ wird ihm klar: „Theater. Ich muss ans Theater“ und sieht sich bereits als großer Schauspieler. Sein junges Dasein wird uns in der Erlanger Inszenierung in vier großen Lebensabschnitten dargeboten – von der Kindheit als Bücherwurm bis hin zur Adoleszenz und seinen Wanderungen zu den besten Schauspieltruppen Deutschlands – , in einer schrillen, zitrus-sauren, szenischen Lesung, gleich einem Feuerwerk.
Zwei Seelen
Dass uns seine Geschichte von zwei jungen Schauspielern erzählt wird, die im Theatergeschehen selbst an einem Scheideweg stehen, gibt dem Theaterabend einen herrlich zynisch-ironischen Unterton, der gerade diese zwei Schauspieler für die Erzählung unersetzlich macht. Die „zwei Seelen“ des Anton Reiser, so scheint es. Robert Naumann gibt den Gediegeneren, Eleganten, den Liebhaber klassischer Musik, der die einfache Lesung bevorzugt. Christian Wincierz hält dagegen mit ACDC, Sturmgewitter, frechen Fratzen und körperlicher Verrenkung.
Beides Künstler wie Anton Reiser?
Natürlich lassen sich Bühnenfigur und Persönlichkeit eines Schauspielers nicht vergleichen. Aber der Schein von Privatheit auf der Bühne macht den Abend zu einem sehr persönlichen. Und die Frage bleibt offen, wie viel von dem, was da gesagt wird, einem „mal aussteigen und sich eine Dosis SELBST spritzen“ entsprungen ist. Sicherlich darf man jedoch die Kreativität des Regieduos aus Mirja Biel und Joerg Zboralski nicht unterschätzen, die während des Schaffensprozesses vor einem Jahr auch für die Kostüme verantwortlich waren.
Selbsfindungsporno
Der „Authentizitätsporno“, der anfangs so laut angeprangert wird, gilt vermutlich sowohl für die beiden Schauspieler, wie auch für Anton Reiser, so wie für fast jeden von uns. Wir versuchen, neben den Rollen, die wir nach und nach sowieso einnehmen, immer wieder eine authentische Persönlichkeit von uns zu präsentieren: Ich bin wichtig! Es besteht ein Drang – ja Zwang – nach Selbstfindung. Manch sucht sein Leben lang. Und wer endlich für sich glaubt, die ideale „Berufung“ gefunden zu haben, darf sie im schlimmsten Fall nicht praktizieren.
Ich behaupte: In unserer jungen Generation ist dieser Konflikt ein universeller. Deshalb halte ich die Inszenierung „Anton Reiser“ in ihrer provokant– dreckig, aber immer charmanten Form für unglaublich aktuell. Nicht ohne Grund, meiner Meinung nach sogar in höchst berechtigter Weise, wurde „Anton Reiser“ daher vom Theater Erlangen zu den 31. Bayerischen Theatertagen eingeladen, die dieses Jahr vom 01.-16. Juni in Nürnberg stattfinden werden. Dort wird er am 15.6. noch einmal gespielt.
Paula Linke
Gästebuch zur Derniere von „Anton Reiser“:
„Mir fehlen die Worte. Ich habe alles erwartet, aber nicht diese Inszenierung. Unglaublich ergreifend, berührend, verwirrend, fantastisch!“
„Ich bin begeistert, ich muss das Buch kaufen! Und ich habe meine Träume wieder gefunden: Die Theaterwelt.“
„Ein sehr gelungenes Duett in einem wunderschönen Raum.“
Robert Naumann wurde bei den letzten Bayerischen Theatertagen in Augsburg für seine Rolle in „Titus“ mit dem Förderpreis für „einen herausragenden Nachwuchsdarsteller“ ausgezeichnet.