Seit David Foster Wallace’s Tod 2008 versucht man aus seinem Nachlass ein grandioses Verkaufsspektakel zu veranstalten. Und das hat positive und negative Seiten. Es ist ein Spannungsfeld, das ungefähr zwischen vernünftigem Konsum von gebrannten Mandeln und Tiefseefischerei verortet werden kann. Also: Der Leser bekommt vermutlich jeden Satz, den Wallace geschrieben hat, aufwendig nachbearbeitet. Allerdings entstehen durch dieses unbedingte Gewinnstreben so eigenartige Ausgaben wie „Das hier ist Wasser“ im KiWi-Verlag: Ein Buch, das man inhaltlich absolut kreditieren muss, dessen Aufmachung durch die unbedingte Seitenschinderei aber abstoßend wirkt.
Wie verhält es sich also mit dem „postum entdeckten Grundsatztext“ (Umschlag), der vor kurzem bei Suhrkamp erschienen ist?
Die Schinderei zuerst: Wer einen philosophischen Großentwurf erwartet, der das literarische Werk von Wallace stützt und erklärt, wird enttäuscht. „Schicksal, Zeit und Sprache“ beinhaltet hauptsächlich Wallace‘ universitäre Abschlussarbeit im Fach Philosophie. Zusätzlich muss man sich das Buch eher als Anthologie zu Wallace Leben, Werk und seiner philosophischen Problemstellung vorstellen. „Schicksal, Zeit und Sprache“ versammelt Essays von insgesamt sieben Autoren. Etwa die Hälfte des Textes stammt von Wallace selbst.
Ist die Schinderei berechtigt? Ja! Die Schinderei mag vielleicht Schinderei sein, aber sie stellt sich in den Dienst des Buches und macht es besser, interessanter, aufschlussreicher. Es gibt z.B. eine fundierte biografische Notiz zu Wallace‘ Leben (mit dem wunderbaren Titel „Herzrasen im Kopf“), eine Erinnerung von Wallace‘ Professor an seinen Studenten, den Aufsatz (von Richard Taylor), den Wallace mit seiner Abschlussarbeit widerlegen wollte und einen Beitrag zur damaligen wissenschaftlichen Diskussion.
Wer also an Philosophie (insbesondere an analytischer Philosophie) und am Leben des genialen Schriftstellers David Foster Wallace interessiert ist, für den bietet sich „Schicksal, Zeit und Sprache“ ganz unabhängig vom eigentlichen Aufsatz an. Das Buch liefert einen guten Zugang zu seinem Frühwerk und seinem Denken. Man kann sogar sagen, dass wir es hier nicht mit Schinderei im engeren Sinne zu tun haben, sondern mit einer gut aufbereiteten Publikation. Und dann ist es auch egal, ob diese Aufbereitung einen Schinderei-Ansatz verfolgt oder nicht.
Kein „postum entdeckter Grundsatztext“, aber trotzdem empfehlenswert.
„Schicksal, Zeit und Sprache“ von David Foster Wallace, 15 Euro, Suhrkamp
Joshua Groß