Victor Hugo hat 1831 mit dem historischen Roman „Notre-Dame de Paris“ die Begeisterung seiner Epoche, der Romantik, für das Mittelalter eingefangen. Hauptfigur des Romans ist nicht wie der deutsche Titel nahelegt, Quasimodo, sondern die Kathedrale selbst. Wollte jemand heute einen vergleichbaren Roman schreiben, müsste er ihn „iPhone5“ nennen, allerdings scheint das Faszinosum unserer Zeit nicht eine vergangene Epoche zu sein, sondern die unmittelbare Gegenwart. Byung-Chul Han spricht von Atomisierung: Unsere Zeit ist zerstückelt, wir erleben jeden Augenblick für sich, aber keine Zusammenhänge mehr. In seinem Essay ‚Duft der Zeit‘ (Transkript Verlag 2009) erklärt er, „die Hyperkinese (der ständige Reizzustand, d.V.) des Alltags nimmt dem menschlichen Leben jedes kontemplative Element, jede Fähigkeit zum Verweilen. Sie führt zum Verlust von Welt und Zeit. (…) Notwendig ist eine Revitalisierung der vita contemplativa.“1
Angebote zur Kontemplation finden sich im Bamberger Dom neben den Apostel- und Prophetengalerien mit dem Veit-Stoß-Altar, dem Kirchgattendorfer, dem Mühlhausener, dem Riemenschneider-Altar und dem modernen Kreuzweg zuhauf. Sie alle haben auf eigenen Wegen in den Dom gefunden, ungefähr so planvoll wie heute unsere privaten Bildergalerien entstehen. Es erinnert etwas an die Schaufrömmigkeit des Mittelalters, mit welchem Stolz wir digitale Bilder von unserem Besitz, unserer Familie und Freunden herumzeigen.
Während die gotische Architektur dem Licht- und Raumempfinden eine neue Qualität verliehen hat, erleuchtet uns heute das elektrische Flackern unserer Displays. Permanent online zu sein, macht nicht nur Stress, sondern es entzieht der Zeit eine sinnvolle Struktur, es verändert auch unsere sozialen ‚offline‘-Beziehungen. Vielleicht wäre hin und wieder eine „Purifizierung“ unserer Kommunikationsmittel angebracht. „Das Auge gibt dem Körper Licht“, sagt Jesus im Matthäus-Evangelium (Mt 6, 22). Was wir mit den Sinnen aufnehmen, kommt dem ganzen Körper zugute oder schädigt ihn. Dagegen kann das Smartphone auch das spirituelle Leben bereichern, wenn wir es sorgsam benutzen und jeder unserer Beziehungen Raum und Zeit zur Entfaltung lassen. Unter zahllosen Apps gibt es mittlerweile einen Gottesdienstfinder für das Bistum Essen, eine App zum Kölner Dom, zum Münchner Liebfrauendom und auch den Pocket-Islam, der neben dem Korantext auch über die Gebetszeiten informiert.
Eine zeitgemäße reale Applikation war im Bamberger Dom vorgesehen. Wenn im Westchor das Sonnenlicht einfällt, blendet es die Gläubigen im Kirchenschiff und die Kreuzigungsgruppe von Julius Glesker am Hochaltar erscheint wie ein Scherenschnitt. Zum Bistumsjubiläum 2007 und zum Domjubiläum sollten Fenster nach dem Motiv des „Volk Gottes auf dem Weg durch die Zeiten“ installiert werden. Aus Gründen der Haushaltskonsolidierung hat das Metropolitankapitel den Plan nicht weiter verfolgt. Die drei Modellfenster, die seit 2004 dezent im südlichen Seitenschiff hängen, lassen ahnen, wie zeitgemäß der Dom wirken könnte.
Das Logo des Jubiläumsjahres zeigt drei Selige aus dem Tympanon des Fürstenportals. Ihr Gesichtsausdruck wird ‚das Bamberger Lächeln‘ genannt. Die Stadt wurde in ihrer tausendjährigen Geschichte nie zerstört, darum blieb nicht nur ihre Altstadt, sondern auch die Lebensfreude ihrer Bewohner weitestgehend intakt. Auch wenn vielen heute die technologische Infrastruktur mehr bedeutet als die spirituelle, das Bamberger Lächeln bleibt nicht virtuell, es lebt.