Woyzeck am AMVI-Theater

Foto von Andreas Hofmann

„Wenn es doch nur Theater ist, warum ist es dann wichtig, ob es ein Mann oder eine Frau spielt,“ so erklärt mir Julian Schuppe die Besonderheit seiner Inszenierung. Nach „Peer Gynth“ und dem „Grubenwächter“ von Kafka hat sich der Jungregisseur am AMVI-Theater in der Glücksstraße 3 nun Büchners „Woyzeck“ gewidmet. Und hat sich an das Experiment gewagt, alle Rollen mit Frauen zu besetzen. Dabei herausgekommen ist ein spannendes  Ergebnis, das sich sehen lässt. Die Premiere findet heute 20.00 Uhr auf der Bühne der AMV  Fridericiana statt. Weitere Aufführungen werden am 30. 11 und am 1.12., ebenfalls jeweils 20.00 Uhr folgen. Der Eintritt ist frei und Karten können unter amv.org vorbestellt werden.

„Es ist erstaunlich, wie modern Büchners Sprache ist! Vor allem, wenn man bedenkt, dass sein „Woyzeck“ nur wenige Jahre nach dem Erscheinen von Goethes „Faust II“ entstanden ist.“ Julian Schuppe ist vollkommen begeistert von dem jungen Autor. Für seine Inszenierung im AMVI hat er den Text geschickt gekürzt, um mit seinem fünfköpfigen Ensemble die wichtigsten Ereignisse um  Büchners Woyzeck auf die Bühne zu bringen. Das ist ihm sehr gut gelungen. Und nach kurzer Zeit ist die Verwirrung über die ganzen Frauen in Männerrollen verschwunden, denn Schuppe hat während seiner Inszenierung darauf geachtet, mit seinen Schauspielerinnen nicht Männer nachzuahmen, sondern Typen zu präsentieren. Und das funktioniert!

Als ich am Mittwoch dort auftauche, um mir die Generalprobe anzusehen, sieht alles sehr professionell aus. Ganz konzentriert und ruhig geht es auf der Bühne zu, ich werde gefragt, ob ich ein Wasser möchte und verkrieche mich in den Zuschauerraum. Vor dem Durchlauf werden noch Fotos für das Programmheft gemacht. Das Bühnenbild ist raffiniert einfach, ein großer weißer Fensterrahmen hängt mitten in den Raum hinein. Später werden dieser Rahmen und das in den schwarzen Bühnenstoff eingelassene Stofffenster die vorrangigen Hilfsmittel sein, um in diesem kleinen Raum dennoch verschiedene Orte zu zeigen. Und mehr brauchen die Schauspielerinnen auch nicht, um sich durch Woyzecks gesamte zerrüttete Welt zu bewegen.

 

Foto von Andreas Hofmann

Erbsen-Experimente und Brechtscher Gesang

 

Woyzeck – gespielt von Corinna Pfarr, die schon im Peer Gynth in der Rolle der Trollprinzessin das Publikum begeistern konnte – arbeitet immerzu, isst für ein medizinisches Experiment seit Monaten nur Erbsen, schafft Geld heran für seine Freundin Marie und muss mit ansehen, wie diese sich einem Tambourmajor an den Hals wirft. Bald sieht er Gespenster und hört Stimmen, der Doktor meint dann zufrieden mit sich und seinem Experiment: „Woyzeck, Er hat die schönste Aberratio mentalis partialis, die zweite Spezies, sehr schön ausgeprägt. Woyzeck, Er kriegt Zulage.“ Wundervoll schräg gespielt von Katja Steinki, ist dieser Doktor eines der Highlights der Inszenierung. Auch dem  Hauptmann -gespielt von Jaqueline Grzeszik – bei seinem Spiel zuzusehen,  ist eine wahre Freude. Julian Schuppe war es  wichtig, die Liedtextpassagen in Büchners Text nicht zu übersehen. Fast schon ein wenig wie Brecht hat dieser nämlich in seinen „Woyzeck“ Lieder eingebaut, die zur Atmosphäre beitragen und die das Innere seiner Figuren widerspiegeln. Jaqueline Grzeszik in der Rolle des Andres singt sich wundervoll Mut an!

Foto von Andreas Hofmann

Eine der interessantesten Erscheinungen des AMVI-Theaters ist Felicitas Sieweck. Mit ihrer zierlichen Gestalt gibt sie der Marie eine ungewöhnlich zarte, seltsam kalte Nuance. Zumal das Verhältnis von Marie und Woyzeck dem einer Mutter zu ihrem Kind gleicht. Erst, als Woyzeck sich dazu entscheidet, Marie umzubringen, scheint er erwachsen zu sein und Marie das erste Mal zu begreifen, dass sie einen Geliebten vor sich stehen hat. Aber da ist es schon zu spät. Am Morgen darauf ist das gemeinsame Kind Waise und ein kaltes Mädchen liegt im Morgentau.

„Friert’s dich, Marie? Und doch bist du warm. Was du für heiße Lippen hast! Heiß, heißen Hurenatem! Und doch möcht‘ ich den Himmel geben, sie noch einmal zu küssen. – Friert’s dich? Wenn man kalt ist, so friert man nicht mehr. Du wirst vom Morgentau nicht frieren.“ So spricht Woyzeck, bevor er seine Marie ersticht.

Der wahre Woyzeck, Johann Christian Woyzeck, der Georg Büchner als Inspiration für sein gesellschaftskritisches Werk diente, wurde am 27. August 1824 in Leipzig enthauptet. Dem deutschen Soldat wurde zur Last gelegt, seine Liebhaberin Johanna Woost ermordet zu haben.

Paula Linke

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