Ein langer Blick, dann schaut er zur Seite. Es dauert zwei Sekunden, dann drei, sie versteht, und geht. Niko ist ein Abbrecher. Klavierunterricht, Jurastudium, Freundin.
„Das Einzige, das ich für dich tun kann, ist gar nichts mehr für dich zu tun“, das sagt sein Golf spielender Vater, dem die großen Scheine nur so aus der Hosentasche flattern.
Und nun ist Niko wirklich auf sich allein gestellt. Kein Job, kein zahlender Vater, die vor Wochen bezogene Wohnung ist noch immer nicht eingeräumt. Er sollte sich vielleicht eine Arbeit suchen, doch er ist nicht unbedingt ein Mensch, der aktiv Dinge angeht, er lässt sie eher passieren. Er trifft skurrile Leute,
die dem Zuschauer Bauchschmerzen bereiten. Sie sind alltäglich, und dennoch dubios: der Führerschein-Psychologe, der ihn erst blöd von der Seite anmacht und ihm dann seinen Lappen nicht zurück gibt. Die Fahrkarten-Kontrolleure, die just auf ihn treffen, als der Automat kaputt war, und die ihm noch nicht mal ihren Ausweis zeigen.
Zu viele Möglichkeiten überfordern
Man fragt sich, warum Niko sich nicht wehrt, seine Stimme erhebt, mal eine Tür knallt. Doch nichts davon, er erträgt alles stoisch. Den aufdringlichen Nachbarn (Justus von Dohnányi), der ihm Fleischbällchen vorbeibringt und ihm sein Herz ausschüttet. Oder seinen besten Freund Matze (Marc Hosemann) mit dem altmodischen Regenhut. Mit ihm fährt er durch die Gegend und trifft noch mehr komische Leute. Wie zum Beispiel Julika (Friederike Kempter), das Mädchen mit den großen, strahlenden Augen. Sie ist mit Niko zur Schule gegangen, kommt aus einer Zeit, in der er noch ein anderer war: Er wusste damals scheinbar noch, was er wollte. Nun ist er unentschlossen, läuft ziellos durch die Stadt, ein Flaneur, immer auf der Suche nach Kaffee. Vielleicht kann er sich nicht entscheiden, weil er zu viele Möglichkeiten hat, das überfordert und bringt viele Studenten zum Nachdenken, spiralenhaft, ein Teufelskreis, der sich immer schneller dreht, oder stehenbleibt, irgendwie ist es das Gleiche. Auch Niko dreht sich die Welt zu schnell, deswegen muss er immer wieder einen tiefen Zug nehmen, – Nikotin beruhigt -dass ihn der Rauch einnebelt.
Die Probleme sind zeitlos, wie die immerwährenden Schwierigkeiten, die Studenten seit jeher umtreiben. Das zeigt auch der schwarz-weiße Anstrich, in dem der Film gedreht ist. Doch die fröhliche Musik klimpert die Schwermütigkeit des Themas fort, die manchmal aufzukommen droht.
Regisseur Jan Ole Gerster erzählt die Geschichte des wandernden Flaneurs, interpretiert von Tom Schilling, den wir schon in „Crazy“ lieben gelernt haben. Ein Augenbrauenzucken, ein Seitenblick, und es ist klar, was er meint. Subtil spielt er den unsteten Niko Fischer, der durch die lärmende Großstadt spaziert mit den ratternden Bahnen und den leuchtenden Ampeln vor Betonwüsten, getrieben von der Frage, was wirklich wichtig ist im Leben.
Oh Boy, in den Lammlichtspielen ab 21:15 Uhr
Johanna Meyr
Es ist faszinierend: Als jemand, der im Kino arbeitet, seh ich genau, wer in die neuen Filme geht. Während „Die Wand“ und „OmaMamia“ ältere Frauen und das allgemeine Standard-Publikum besuchen, tauchen seit dem Anlaufen von „Oh Boy“ lauter kleine Jungs – so um die 18 Jahre alt – in meinem kleinen Kino auf. Gab es da in den letzten Monaten eine Bedarfslücke???