„Unserem Leben haftet alles an“

Schlussszene

Es gibt da das Lied einer mir namentlich vollkommen unbekannten Sängerin, die melodisch eindrücklich fragt, wovon man denn träumen solle. Eine Antwort gibt es nicht.

Die „Freunde des Bergbaus“, wie sich die Truppe um die Regisseurinnen Maria Lioba Horn und Jessica Hölzl nennt, stellten sich am Dienstag und Mittwoch Abend eine ganz ähnliche Frage mit ihrem Stück „TraumHaft“, geschrieben von Jessica Hölzl. Die Antwort war ein farbenfrohes, munter gespieltes Spektakel voller Esprit.     – ein Text von Timo Sestu

Wer ja sagt, muss nicht nein sagen.“

In der ersten Szene berichtet der gescheiterte Musiker Matthäus (in den folgenden Szenen mit großer Tiefe gespielt von Marian Freistühler) Freundin Iris (Katy Häußler) von seinem neuen Job. Deutlich zeigt sich, dass hier jemand seine Träume begraben hat. Das scheint noch mehr bei Gloria (Doris Wedel, heiß und kalt) der Fall zu sein, die nichts mehr an sich heranlässt, vor allem keine Gefühle. Ihren Toyboy Klaus (Jakob Freese) scheint diese Distanz zu verstören. Ausgleich findet er bei der esoterischen Sille (herrlich verrückt: Anna-Lena Werner), die von tibetischen Klangschalen bis hin zum bunten Farbenstaub alles in petto hat, was die Sinne beglückt – und den Zuschauer erheitert. Sie ist auch Ansprechpartnerin für das geschiedene Paar Stefan und Moni (Patrick Wallochny und Lena Ludwig), die in der dritten Szene eine starke Darbietung abliefern, die atmosphärisch sehr bewegend ist. Die Bühnenluft flimmert gewissermaßen zwischen den beiden.

Daraufhin beginnt eine tänzerische Performance, in der vor allem Katy Häußler, die darauf hin insbesondere als Souffleuse agiert und auch als solche immer wieder in Erscheinung tritt, zeigt, was sie kann. Und das kann sich sehen lassen. Ein Zappeln, ein Wälzen. Alles wild und unkontrolliert wirkend. Ekstatisches Aufstehen und Fallen zu einem Beat, der für sein Lied zu schnell erscheint. Und es ist immer wieder ein wankendes Stehen, ein Haltsuchen und -nichtfinden. Das bleibt durchaus beeindruckend.

Heimlicher oder offenbarer Star des Abends: Vika Koroteeva als russische Putzfrau Maja, die sich als größter Fan von Matthäus wahrhaft entpuppt. Sie legt ihre Putzfrauenexistenz ab und präsentiert sich als wahrhaft große Lyrikern. Der exzentrische Vortrag der an den Ex-Musiker gerichteten Schmachtgedichte ist natürlich komisch, aber genauso sehr bewegt er auch. Eine doppelte Barriere macht ihren wohl größten Traum zunichte. Neben der Unzugänglichkeit des Matthäus, scheitert Maja auch zunächst an der Sprachbarriere, denn ihre Gedichte sind in russischer Sprache verfasst.

Plötzlich wird alles bunt. Die Welt auf der Bühne jedenfalls scheint ihre Hemmungen zu verlieren. Warum? Ein Symbol für eine durch Drogen aufbereitete Welt? Immerhin ein quasi technischer Eingriff zur Verschönerung derselben. Und plötzlich bleibt alles haften, was den Figuren zuvor entglitten ist. Eines der schönsten Bilder im ganzen Stück.

Was zählt, ist der Bruch“

Man kann jedoch nicht über dieses Stück schreiben, ohne sich über den Bruch als Stilmittel Gedanken zu machen. Immer wieder wurde eine beginnende Atmosphäre gebrochen, bald absurd, bald stilistisch, etwa durch medialen Einsatz. Noch ehe die Träume der Figuren an den Zuschauern „haften“ bleiben konnte, wurde das gezeigte ironisch kommentiert. Der Dialog zwischen Gloria und Klaus etwa wurde noch einmal „verfremdet“ gespielt. Hierauf wirkte das Ganze natürlich nur noch lächerlich. Vielleicht wurde so eben die Vergeblichkeit menschlichen Wollens thematisiert. Die allzu große Diskrepanz zwischen menschlichem Wollen und Können. Allerdings bewegte man sich hier immer am Rande zum Fragmentarismus, der bekanntlich dann gefährlich wird, wenn die Einzelteile nur noch für sich selbst stehen.

Zum Beispiel gab es da auch noch die Situation, dass die Schauspieler ihre Rollen untereinander tauschten. Schnell wurde klar: Das funktioniert nicht. Doch wieso nicht, wenn es nur ein Rollentausch ist? Vielleicht weil wir gefangen sind in unserem System, dort nicht hinaus können. Und schon gar nicht so leicht hinein in ein anderes. Man bleibt halt, wie man ist. An dieser Stelle sei auch auf ein Lied von Tocotronic hingewiesen, das nur aus 2 Versen besteht: „Ich möchte irgendwas für dich sein/ Am Ende bin ich nur ich selbst.“ Ohne auf das Lied aus der Einleitung hinzuweisen: Hier stellt sich wieder die Frage nach der Erfüllbarkeit von Träumen im Rahmen der eigenen, so oft viel zu geringen Möglichkeiten.

Und dann noch die Verweise auf Brecht, Metabrüche gewissermaßen. Auch hier wurde dem Zuschauer die Deutung mit dem Vorschlaghammer nähergebracht. Achtung! Wir verfremden. Ach ne! Aber so einfach kann man es ja dann doch nicht machen. Warum wurde diese zusätzliche Ebene aufgespannt? Warum wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass es sich hier um ein Stilmittel handeln soll, warum eine Figur Tina (Kirsten Eschner) an eine Leinwand projiziert, die lang und breit die Intention des Stückes erklärt? Konnte man das nicht sehen? Natürlich wird das Ganze damit klar als Versuchsballon deklariert, ohne Anspruch auf Abgeschlossenheit, ohne Antwort auf alle Fragen. Der Zuschauer wird mit der Unabgeschlossenheit, ja vielleicht unabschließbaren Veränderlichkeit des Träumens und Hoffens, des Liebens und Leidens konfrontiert und in das Stück involviert, nach dem Motto: „Schau her, das habe ich mir dabei gedacht. Was denkst du dazu?“ Und die Antworten allein im Stück sind schon vielfältig. Sie reichen von den komisch-grotesken Brüchen, sicherlich mehr als reine Unterhaltung, denn in ihnen manifestiert sich gleich zweierlei: Erstens die Unausweichlichkeit von Rollentypen und -beziehungen, zweitens der Experimentalcharakter des Stückes. Pardon: Sie, die Antworten, reichen als vom Grotesken bis hin zu unhinterfragt aufgeladenen Kitsch, etwa die freilich wundervolle Musik-Szene mit Patrick Wallochny an Stimme und Gitarre sowie Jakob Freese an der Geige. Für Rosamunde-Pilcher-Fans wäre hier der Abend perfekt, denn scheinbar versöhnlich, zu Ende gegangen: Alle Beteiligten schreiben schöne Begriffe in den Farbenstaub am Boden. Freiheit. Wandel. Toll. Aber dann kommt es erneut Bruch, der ewig missverstandene Wittgenstein wird bemüht: Worüber man nicht singen kann, darüber muss man schweigen. Experiment gescheitert?

Ich habe mich verlaufen“

Am Ende befinden sich alle Schauspieler auf der Bühne, im Dunkeln. Ich habe mich verlaufen, sagen sie. Je me suis perdu. I’ve lost my way. Die Figuren sind also sämtlich Verträumte. Sie finden ihren Weg nicht. Sie können ihn ja vielleicht auch gar nicht finden. Wo geht es lang? Sie haben sich VERliebt, VERloren, VERschätzt. Sie sind irgendwo falsch abgebogen, haben etwas falsch eingeschätzt, haben falsch geliebt. Und jetzt könnte man aufgeben. Könnte sich aufgeben. Der Abend endet jedoch versöhnlicher. Es ist fast wie ein Appell. Aber es steckt auch eine Wahrheit darin, denn wer kann sich schon verwahren vor seinen eigenen Wünschen? Und da Jessica Hölzl der Text sehr gut gelungen ist, das sollte man nicht unerwähnt lassen (er enthält tolle Sätze wie: Heutzutage will niemand mehr Kant sein, alle wollen Heidi Klum sein.), möchte ich auch mit ihren letzten Worten enden:

„Ich will weiter!“ – „Wo lang jetzt?“ – „Werden wir dann schon merken.“ – „Na schön.“ -„Dann los.“

Ein Gedanke zu „„Unserem Leben haftet alles an“

  1. Ich habs auch gesehen, fands sagenhaft! Besonders toll fand ich den Kreidestaub, und wie er als „Requisite“ im Folgenden verwendet wurde..
    Ich träume von weiteren Aufführungen von den Freunden des Bergbaus!

    Toller Artikel, übrigens.

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