Das freie Spiel der Zeichen

 

Für Fans von den Türen und solchen die nichts werden wollen…

Die Türen sind nicht: Eine Truppe sozialliberaler Lehrer kurz vor der Pensionierung, die einen veritablen Jim Morrison-Fetisch pflegt und daher gelegentlich alte The Doors-Songs in Turnhallen rumpelt. Die Türen sind: Spät eingeschulte Pennäler, die in der „Hamburger Schule“ drei Klassenstufen unter Blumfeld nicht die Versetzung geschafft haben und voller Stolz gleich im Prekariat gelandet sind. Die Türen sind auch: Dadaisten, Semiotiker, Proleten, Punks. Die Türen mögen: Foucault und Flaschenpfand, diverse Metaebenen, Neue Deutsche Welle, Berlin. Die Türen mögen nicht: Die hypermobilisierte Multioptionsgesellschaft und Aldi, die schwarz-gelbe Regierung, das System im Allgemeinen, Berlin. Sie sind jetzt also gewarnt, falls sie dachten, die Türen, dass seien Dödel, die es tatsächlich für witzig halten, einen Bandnamen wie Die Türen zu benutzen. Womit sie ja ziemlich daneben lagen, richtig? Oder etwa doch nicht?

Den meisten Nürnbergern jedenfalls war die Band, nimmt man die erbärmliche Anzahl an Menschen, die sich an diesem Abend ins Zentralcafé verirrt hatten, als Gradmesser, eher suspekt. Womöglich waren all die weißen Plakate mit den einzelnen schwarzen Buchstaben darauf, die in der Stadt aushingen, und Alben, die Namen wie „Popo“ und „Abcdefghijklmnopqrstuvwxyz“ tragen, dann doch zu subversiv, oder albern, oder irgendwie dubios. Dabei sind die Türen durchaus die deutsche Band der Stunde, denen 2012 zum zehnjährigen Jubiläum mit der Veröffentlichung ihres vierten Albums ein Kabinettsstückchen gelungen ist. Die Texte der Platte mit dem Alphabettitel oszillieren nämlich munter zwischen pointierten Gegenwartsanalysen und albernen Parolen, während die zugehörige Musik das Ganze zu einem schwerst hitlastigen Paket aus Krautrock und Ska, Pop und Indierock, Schlager und Schubidu, verschnürt.

Wer das Werk kauft, wird zudem zu besonderer Mitarbeit aufgefordert: Das Cover erstrahlt ganz in weiß, dazu gibt es einen Satz Sticker zum darauf kleben, etwa der Facebook-Daumen, die Rolling Stones-Zunge, Warhols Banane, eine Discokugel und natürlich alle Buchstaben des Alphabets – der Kommentar der Türen zum Zeitalter der Bits und Byts, wo alles gleichzeitig zu existieren scheint und jeder angemeldete User im Web auswählt, was Teil seiner eigenen Realität wird, und was nicht. Das freie Spiel der Zeichen und Codes, ein postmodernes Referenzinferno, das ganz im Sinne der Türen auch völliger Nonsens sein könnte; in Nürnberg scheint es an diesem Abend wenig Anklang zu finden.

Krank, ich bin nicht krank, ich hab‘ nur ein bisschen Fieber…

Frontman Maurice Summen allerdings, seinerseits nicht nur Sänger, sondern auch Labelchef von Staatsakt, wo auch Ja, Panik und Bonaparte reüssieren, lässt sich von den wenigen Leuten nicht aus dem Konzept bringen, die im Halbschatten der beiden Säulen vor der Bühne herumdrucksen. Den Zuschauern wird gleich einmal der „Schwarze Peter der Unterhaltung“ zugeschoben; sie müssen fortwährend Rentner und Studenten skandieren, während Summen Zeilen wie Wer morgens länger schläft, hält abends länger aus ins Mikrofon raunt und seine Mitmusiker dazu lospoltern. Das funktioniert ganz gut, und nachdem die Band nach drei Minuten zu einer Jam-Ausfahrt in Krautrockgefilde abbiegt, von der sie erst knappe zehn Minuten später wieder zurückkehrt, ist das Konzert schon fast ein Selbstläufer.

Routiniert manövrieren die Türen durch überwiegend vom neuen Album kommende Songs, allesamt tight, durchdacht, abwechslungsreich und mit klug gesetzten Widerhaken versehen, kurz; die Türen können an diesem Abend mit beträchtlichem Hitpotential aufwarten. Besondere Höhepunkte: „Schwarz-gelbes Unterseeboot“, der schief rumpelnde Abgesang auf die Regierung Merkel (Wir sitzen alle in demselben schwarzgelben Unterseebot, Untergehnot, Unterseeboot); „Pop ist tot“, das mit seinem trotzigen, bierseeligen Refrain die Widerstandskraft des Rock’n’Roll bemüht, und natürlich „Leben oder Streben“, mit der unschlagbaren, von Summen beschwingt schlageresk intonierten Zeile Ich will keinen Mindestlohn, ich will Mindestliebe. Immer wieder schillern solche Fragmente in der verspulten Slam-Poetry-Lyrik der Türen hindurch, dass man mitunter darüber, was davon nun ernst gemeint, was mit einem gefühlten fünffachen Ironieboden und drei Metaebenen versehen oder was einfach nur zotiger Klamauk ist, arg ins Grübeln gerät und zu keinem echten Ergebnis kommen mag. Ist das jetzt ernst gemeint oder wie? Teils, teils? Ja und Nein? Es ist egal, aber?

Leg‘ dich nicht mit mir an, sonst leg‘ ich dich an, festverzinst und zugenäht…

Es braucht wohl einen Frontman wie Maurice Summen, um solche Widersprüchlichkeiten zu überbrücken, den exaltierten Gesang, die überdehnten Silben, die schunkelnde Tanzperformance, und natürlich auch dessen Halbglatze, das speckige Shirt, den leichten Bierbauch. Einen, dem man abnimmt, sowohl große Zeilen wie Die Liebe kann nicht aufbauen, was die Angst zerstört zu singen als auch groben Unfug à la Auf dem Bauernhof des Lebens, brütet mancher ganz vergebens, über einer harten Nuss, bis zum Schluss abzusondern. Aber die emotionale, intellektualisierte Kühle, welche die Türen ausstrahlen, das Gefühl eine Band vor sich zu haben, die nicht recht zu fassen ist, weil sie sich hinter einer dicken Ironiemauer alle Optionen offen hält, bleibt auch im Live-Kontext noch bestehen. Das ist wohl der Fluch des freien Spiels der Zeichen. Beliebigkeit schafft Distanz. Die Türen sind: Eine Do-it-yourself-Band. Abcdefghijklmnopqrstuvwxyz.

 

Anmerkungen:

1) „Dieses Lied“ ist ein ziemlich cleverer Song, eine lustige Hymne über die totale Negation von so ziemlich allem. Bevor die Band ihn an diesem Abend spielt, fragt sie das Publikum, was es denn so richtig ankotzen würde, so ganz im Allgemeinen und an genau das sollte es während des Lieds denken. Bezeichnenderweise waren die einzigen Beiträge des Nürnberger Publikums grenzdebile Anti-Fürth-Parolen – wobei auf Nachfrage Maurice Summens keiner imstande schien zu erklären, was jetzt eigentlich genau der Punkt ist, bei dieser „Scheiß-Fürth“-Geschichte. Der Verfasser dieser Zeilen erspart sich jeglichen weiteren Kommentar.

2) Da die reflex-Redaktion dieses Mal keinen Fotografen mit zum Konzert schicken konnte, sind die Bilder, im Sinne der Türen, aus den Flyern der Veranstaltung kompiliert.

 

Manuel Weißhaar

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