Klopfen unter Kreidestaub

Kaum ist die Schulzeit um, fängt das harte Leben an. Ausbildung oder Studieren, was genau und wo überhaupt? Wie wird man wohnen, WG, allein oder Wohnheim, und was passiert mit den alten Freunden? Ein beständiger Halt in diesem Durcheinander und laufenden Wechsel sind soziale Netzwerke. Über facebook bekommt man mit, was im Leben der anderen los ist, wo sie sind, was sie machen und welche Musik sie hören. Über diesen alltäglichen, immer schneller werdenden Wahnsinn hat Rebekka Knoll ein Buch geschrieben.
Das Kratzen bunter KreideIhr Debütroman heißt „Das Kratzen bunter Kreide“. Gerade studiert Rebekka, ein Gründungsmitglied vom re>flexmagazin,  in Berlin Theaterwissenschaften, in Erlangen hat sie ihren Bachelor gemacht, in Kassel wurde sie geboren. Auch sie ist schon das ein oder andere Mal umgezogen und benutzt ihren facebook-Account, um mit ihren Freunden über die Entfernung in Kontakt zu bleiben. Über Maja hat sie sich ganz neu mit dem sozialen Netzwerk auseinander gesetzt.
„Ich habe früher gar nicht darüber nachgedacht, wie nutze ich facebook aktiv, was denke ich eigentlich darüber, und habe so von einer neuen Perspektive über das Thema nachgedacht“, erklärt Rebekka.
Schwierig findet sie facebook trotzdem, und auch Maja versucht sich dieser Welt zu entziehen, als es ihr zu eng wird.
Maja ist die Hauptperson des Romans, ständig zieht sie um, findet schnell Freunde im Wohnheim oder in der Uni, so richtig dicke sind diese Freundschaften allerdings nicht. Ähnlich läuft es mit der Liebe. Wenn sie jemand reizt, will sie ihn haben, nebensächlich, dass es schon einen Mann in ihrem Leben gibt, Jakob Er kommt aus Bern und stellt Maja kurzerhand vor vollendete Tatsachen: „Jakob Meisenbach listed you as his girlfriend on facebook.“
Maja hat nicht nur einen gewöhnungsbedürftigen Charakter, sondern auch beunruhigende Tagträume, die die Handlung bis zur letzten Seite spannend machen. In ihren Träumen ist sie für Stunden oder sogar tagelang abwesend, starrt zur Decke, nicht ansprechbar. In diesen Träumen befindet sie sich in ihrer alten Schule, auf dem Klo oder in der Sporthalle. Warum ist sie dort, alleine, und jemand rüttelt und klopft an der Tür?

Es klopft. Ganz leicht, aber beharrlich. Als käme dieses leise Geräusch von einem einzigen Fingerknöchel, der einfach nicht müde wird. Da will jemand durch die Tür, durch Majas Klotür. Vollständig angezogen sitzt sie auf dem Deckel einer Schultoilette. Es ist ihre Stammkabine, hier sitzt sie am liebsten, doch vor ihrer Nase zittert der Türgriff. Maja könnte ihm dabei zuschauen, das weiß sie. Stattdessen dreht sie den Kopf hin und her. Bedächtig, immer wieder, hin und her. Nach rechts, nach links, nach rechts.
„Schau nach links“ steht auf der rechten Seite der Klokabine in ordentlicher Schrift.
Und Maja schaut nach links.
„Schau nach rechts“ steht auf der anderen Seite und das a, das u, das e sind ganz rund gezeichnet.
Schau nach links, schau nach rechts, schau nach links.
Maja tut es. Immer wieder streift ihr Blick den Namen dieses Spiels. Neben dem leicht zitternden  Türgriff, vielleicht sogar genau auf Höhe des Klopfens, steht: „Klotennis.“ Und das Pünktchen auf dem i ist eine Blume.

Diese Wachträume sind unheimlich. Ist Maja krank, hat sie Epilepsie, oder rutscht die Geschichte ins Fantastische? Das stellt den Leser nicht nur einmal vor Rätsel.
Maja versteht das Leben als Spiel. Wenn ihr der Mitbewohner zu viel wird, zieht sie um. Wenn sie keine Lust mehr hat, verlässt sie die Disco und lässt ihre Freundin allein zurück. Wenn ihr das Leben zu ernst wird, malt sie bunte Kreidemöbel auf den Boden, die kann man wieder wegwischen. Nur ja nichts festes, nichts, das einengt und festhält, keine Person, der man verpflichtet ist.

Unstet ist Maja, aber auch rücksichtslos und egoistisch. Maja ist, trotz ihrem Hang zu digitalen Medien, die sie in eine virtuelle, unechte Welt flüchten lassen, und dem heutzutage klassischen Lebenslauf aus Ortswechsel und innerer Unruhe, kein Prototyp für ein heutiges Mädchen von Anfang Zwanzig. Sie ist unberechenbar, seltsam, teilweise aber fast noch kindlich.
Diese Unberechenbarkeit macht den Roman erst so richtig spannend. Besonders das Ende kommt völlig überraschend. Auch wenn die ein oder andere Situation ins Leere läuft oder nicht vollständig aufgelöst wird, fesseln die spielerischen Beschreibungen den Leser.
Rebekka meint, sie findet Maja auf jeden Fall sympathisch, auch wenn sie sie manchmal ganz schön aufregt. „Auf facebook wäre ich aber auf jeden Fall mit ihr befreundet!“, sagt sie lachend.
Johanna Meyr
Das Kratzen bunter Kreide, erschienen im Schwarzkopf und Schwarzkopf Verlag, 9.95€

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