Raumschiffe und Androiden, Teil 1

Nach dem re>flex u.a. über den Comiczeichner Horus W. Odenthal berichtete, entstand Kontakt zu dem Künstler, der mittlerweile Fantasy-Romane schreibt. Als Indie-Autor brachte er zuletzt die Trilogie „Ninragon“ auf den Markt. Weitere Projekte sind in Arbeit. re>flex präsentiert ein ausführliches Interview mit Horus W. Odenthal in zwei Teilen.

Joshua Groß: Ist die Entscheidung, Romane zu schreiben, der nächste, logische Schritt? Auch in Ihren Comics ging es häufig um Sci-Fi-Handlungen. Und was fasziniert Sie an den Möglichkeiten der Sci-Fi?

Horus W. Odenthal: Ich habe Bücher immer geliebt und ursprünglich hatte ich in meiner Jugend den Wunsch, Schriftsteller zu werden. Dann entdeckte ich, auch durch Magazine wie das deutsche „Schwermetall“, das Zeichnen, und damit verlagerten sich meine Aktivitäten auf die Comics. Ich wollte lernen, wie das mit dem Zeichnen geht, aber das Grafikdesign-Studium, das ich daraufhin begann, machte mich nur zum Autodidakten. Ich lernte aber auf der FH Leute kennen, die sich genau wie ich für Comics interessierten, und bald gaben wir unsere ersten Fanzines heraus. Ich bin froh, dass es heute auf dem Markt keine Exemplare mehr davon gibt. Das prägte allerdings meinen weiteren Werdegang, und von da an waren es die Comics für mich. Die sinnliche Komponente des Zeichnens wurde mir immer wichtiger, wurde mir mit der Zeit, vor allem in der späten Phase meines Comic-Schaffens, zu etwas wie Selbsterfahrung, Meditation, Versenkung, ein fast schon spirituelles Mittel etwas über sich selbst und die Natur der Welt zu erfahren. Die Vorgang, mit einer kratzenden Feder über Papier zu fahren, eine Tuschespur zu hinterlassen, die Dinge bedeutet, die Dinge darstellt und für den Betrachter entstehen lässt, und die doch nichts anderes ist als Striche auf Papier hat etwas zutiefst Fundamentales, Profundes, Spirituelles. Wenn man es genau bedenkt und erfährt. Ein Strich teilt, zerschneidet das Papier und etwas Neues entsteht. Ein weiterer Strich kommt hinzu, eine weitere Narbe, und Bedeutung wächst.

Das hat mir am Ende immer mehr bedeutet.
Aber es ging mir immer in erster Linie um das Geschichten-Erzählen. Ich habe immer unter den Klassikern die Sachen von Hugo Pratt geliebt, wo es jedem einzelnen Panel anzusehen war, das hier Geschichten geschrieben wurden, mit Worten und mit Zeichnungen.
Und es hat mich erzählerisch zu immer größeren, komplexeren Formen hingezogen. Daher war auch mein erster großer Comic „Brennan Moore“ auf eine großen Erzählbogen hin ausgelegt. Vielleicht war ich damals naiv. Oder Idealist. Jedenfalls habe ich mit der Zeit erfahren, wie schwer das im Comic-Medium zu verwirklichen ist, jedenfalls in Deutschland. Einmal sind da die Marktgegebenheiten, zum anderen der Zeitfaktor. Das Comic-Zeichnen hat eine für den Kreativen sehr ungünstige Produktions-Konsum-Ratio. Das heißt, man braucht sehr lange Zeit, um etwas zu schaffen, was vom Leser in sehr kurzer Zeit konsumiert wird. Lange, komplexe Geschichten fordern vom Kreativen sehr viel seiner Lebenszeit ein. Ich kann hier nur auf Dave Sim mit seinem „Cerebus“verweisen. Und in der Zeit, die es braucht, die Ideen zu realisieren, kann man nichts anderes machen, keine neuen Ideen entwerfen. Der Comic hat auch eine sehr ungünstige Kreativität-Schinderei-Ratio. Vielleicht liegt das ja nur an mir, und für andere ist das Zeichnen selber ein viel größerer Lustgewinn, aber für mich war der Akt des Comic-Machens irgendwie immer ein Schwanz, der mit dem Hund wackelt.
Schon während ich meine letzten Comic „Post Mortem Blues“ fertigstellte, kristallisierte sich für mich immer mehr heraus, dass ich mit diesem Medium nicht mehr wirklich weiterkam, wollte ich meinen eigenen Wachstumslinien folgen. Das nächste Projekt, das sich in meinem Kopf entwickelte, als Comic zu realisieren, stellte mich vor große Probleme. Es war zu komplex für einen Comic, zu lang, hätte mir zu viel Zeit abgefordert. Wie die Protagonistin meines letzten Comics stand ich vor einer Wand…

„Ich versuchte es und war nach kurzer Zeit süchtig; mir war klar: Ich hatte mein neues Medium gefunden.“

… Die ich nur dadurch durchbrechen konnte, indem ich das Medium wechselte. Dafür bedurfte es des Anstoßes durch meine Frau, die mich anregte, es doch, da ich Bücher so sehr liebte, mit dem Schreiben zu versuchen. Ich versuchte es und war nach kurzer Zeit süchtig; mir war klar: Ich hatte mein neues Medium gefunden.
Genauer habe ich das in meinem Blog beschrieben: „Warum Romane“ Teil 1-3:Teil 1, Teil 2, Teil 3

Warum SF/Fantasy? Ich hatte schon immer ein Faible für die phantastischen Genres. Ich möchte unterhalten. Das in erster Linie, Unterhalten ist die Basis jeder Kunst; alles andere ist Zugabe. Mir war sehr klar, dass ich keine Schriftsteller-in-Midlife-Crisis-Pseudo-Anspruchsromane schreiben wollte. Ich halte es nicht für erstrebenswert, Lesern zu erklären, dass die Welt noch beschissener ist als sie eigentlich gedacht haben und dafür von Ihnen als genial, klarsichtig und feiner Beobachter und Analytiker gelobt zu werden. Ich wollte das schreiben, was mich auch unterhält und mir Spaß macht. Ich bin überzeugt, wenn man das nur ernsthaft genug betreibt, seine Geschichte und seine Personen ernst nimmt, dann kann es nicht anders sein, als dass am Ende etwas dabei herauskommt, das sehr viel Tiefe und Wahrheit hat und das sowohl einen selbst als auch den Leser im Denken und im Verstehen oder Hinterfragen der Welt weiterbringt.

„Und außerdem finde ich Raumschiffe, Androiden und solche Dinge einfach nur verdammt cool.“

Außerdem bieten Science Fiction und Fantasy dadurch, dass in ihnen eine eigene Welt geschaffen werden kann, die Möglichkeit über Dinge zu reden, die einen beschäftigen, ohne allzu sehr an konkreten geschichtlichen und politischen Situationen festgemacht zu werden. Man ist weniger eingeschränkt ein Thema in seiner Allgemeingültigkeit zu erforschen und dafür die Bedingungen wie in einem Laboratorium selber hinzubiegen, ohne dass gleich der ganze konkrete faktische Kontext die Geschichte mit ihren Konnotationen und Implikationen total einengt und niederdrückt. Ich kann fabulieren, wie ich will. Und außerdem finde ich Raumschiffe, Androiden und solche Dinge einfach nur verdammt cool.
Joshua Groß:
Wie lange haben Sie an der Ninragon-Trilogie geschrieben? Wird es weitere Fortsetzungen geben?

Horus W. Odenthal:
An den Ninragon-Romanen habe ich unverhältnismäßig lange geschrieben. Fast vier Jahre. Das kam dadurch, dass ich nicht kontinuierlich gearbeitet habe. Ich bin zwischendurch in Baby-Pause bzw. in Semi-Baby-Pause gegangen und habe mit meiner Frau unseren reizenden, umwerfenden Zwillingstöchtern Zoe und Grace durch die ersten Jahre hindurch ins Leben geholfen. Die Zeit war mir so wertvoll, dass ich nur sporadisch an meinem Roman gearbeitet habe. Aber ich bin sicher, dass er dadurch besser geworden ist, komplexer, dichter, weil ich zwischen den Schreibschüben sehr viel Zeit hatte über die Geschichte nachzudenken und Schichten hinzuzuerfinden, die es sonst so vielleicht nicht gegeben hätte. Die Welt, in der die Geschichte spielt, hat an Textur und Tiefe gewonnen, und sie ist dadurch einmaliger, origineller und charakteristischer geworden.
Und das beantwortet auch schon fast die zweite Frage. Ja, es wird mehr Geschichten in dieser Welt geben, sowohl als dirkete Fortführung der Erzählfäden aus „Ninragon“, aber auch als eigenständige Geschichten. Dies ist eine große Welt und ich habe noch viel in ihr vor. Viele Personen werden wieder auftauchen, vielleicht als Helden ihrer eigenen Geschichte, vielleicht als Nebenpersonen, vielleicht als Antagonisten – es kommt alles auf die Perspektive an. Und es wird ganz neue Erzählkonstellationen geben. Ich habe zum Beispiel einen Mix aus Fantasy und einer Hard-Boiled-Cop-Story in Vorbereitung. Darauf freue ich mich schon besonders.

„Ich habe zum Beispiel einen Mix aus Fantasy und einer Hard-Boiled-Cop-Story in Vorbereitung. Darauf freue ich mich schon besonders.“

Joshua Groß: Ninragon wird ausschließlich als E-Book publiziert. Ist das zeitgemäß (und deshalb eine bewusste Entscheidung), oder würden Sie die Trilogie gerne auch noch in Print veröffentlichen? Sehen Sie die fortschreitende Digitalisierung (auch in der Kunst) negativ? Oder überwiegen die positiven Seiten (wie zB. die E-Publikation)?

Horus W. Odenthal: Es ist zeitgemäß, weil mit den eBooks und vielen damit verbundenen und dazu analogen Entwicklungen etwas ganz und gar Neues passiert, was die meisten noch gar nicht erfassen können. Die Welt verändert sich und zwar entscheidend, nicht nur in Bezug auf Verlagswesen und das Publizieren von Texten. Das und Crowfunding ist nur die Spitze eines Eisbergs.

„Ist der Künstler nicht der, welcher dem Publikum immer im Wissen, was es will, einen entscheidenden Schritt darin voaus ist?“

Penguin hat für 116 Mio. $ den Self-Publishing-Servive Author Solutions erworben, weil sie das Self-Publishing für den größten Wachstumsmarkt halten. neobooks ist ein ähnlich fortschrittlicher Zug in Deutschland. Ich denke, viele müssen gewaltig aufpassen, dass sie einen schon fahrenden Zug nicht verpassen. Das alles fühlt sich wohltuend demokratisch und smart an. (Aber das ist ein weites Feld mit vielen Argumenten und Gegenargumenten und auch Missverständnissen. Man könnte zum Beispiel darüber diskutieren, ob Kunst von ihrer Natur aus überhaupt demokratisch ist. Ist der Künstler nicht der, welcher dem Publikum immer im Wissen, was es will, einen entscheidenden Schritt darin voaus ist?)
Natürlich möchte ich als Autor für mein Werk so viele Leser wie möglich finden. Von daher fände ich eine Print-Veröffenlichung sehr wünschenswert, denn mit den alten Holzbücher erreicht man schließlich (noch) einen größeren Leserkreis. Ich bin kein digitaler Snob; jedes Mittel, um einen Leser mit meinem Buch zu erreichen und berühren, ist ein gutes Mittel.
Die fortschreitende Digitalisierung in der Kunst ist für mich nicht zu bewerten. Sie ist weder gut noch schlecht. Sie ist etwas, das passiert. Sie ist die Zukunft. Bewerten können wir, was wir mit dem Mittel, das uns in die Hand gelegt wurde, anfangen. Ich werde nicht gezwungen, nie mehr physische Bücher zu lesen. Ich glaube nicht, dass sie verschwinden werden; unser Umgang damit wird sich verändern. Ich lese inzwischen die meisten Bücher auf dem Kindle. Die, die mir gefallen, lege ich mir in einer schönen Druckausgabe zu; das ist das Beste, um später noch einmal darin zu schmökern und Stellen nachzulesen. Es gibt kaum etwas Inspirierenderes als über ein Bücherregal zu streichen, über einen Titel zu spolpern und dann von einem Buch, von einer Textstelle zu anderen zu flanieren.

Joshua Groß:
Fällt es Ihnen schwer, ohne Bilder auszukommen, die den Text ergänzen? Wie weit hilft Ihnen die Erfahrung als Comic-Schriftsteller beim Schreiben von Romanen?

Horus W. Odenthal:
Durch Comics habe ich gelernt, in Sequenzen zu denken und habe die Wichtigkeit der Abfolge und Hierarchisierung kennengelernt. Im Roman betshen die Sequenzen an der Basis aus Worten, Sätzen und Absätzen. Die Sequenz und die Auswahl der Elemente ist entscheidend dafür, wie sich die Bilder in unserem Bewusstsein aufbauen. Das hört sich alles sehr analytisch an, aber in der Praxis ist es eine sehr instinktive Sache. Man muss nur das Bewusstsein dafür haben. Das hatte ich durch Comics. Ich musste nur so ziemlich alles vergessen, was ich über die Möglichkeiten und Tricks wusste mit Bildern und Worten, an einer Zeitachse und in räumlichen Sequenzen zu konstruieren, die die Illusion einer fortlaufenden Geschichte erzeugen.

„Das hört sich alles sehr analytisch an, aber in der Praxis ist es eine sehr instinktive Sache. Man muss nur das Bewusstsein dafür haben.“

In den Comcis habe ich gelernt Geschichten zu konstruieren. Das musste ich mit Romanen auf eine neue Ebene heben. Ansonsten musste ich vor allem am Anfang lernen, dass ich am besten die meisten Regeln, die ich vom Comic her kannte, vergessen sollte, um mich nur auf meinen Bauch und mein Gefühl für das neue Medium zu konzentrieren.
Ich weiß nicht ob das hilft, die Frage zu beantworten. Wahrscheinlich müsste ich einen Roman darüber schreiben. Aber das verkneife ich mir lieber. Bücher über schriftstellernde Protagonisten gibt es schon genug.

Joshua Groß: Vielen Dank!

Interessierte kommen über Horus W. Odenthals Blog zu allen wichtigen Infos!
Die Ninragon-Trilogie kann man u.a. über Amazon erwerben.

Joshua Groß

2 Gedanken zu „Raumschiffe und Androiden, Teil 1

  1. Pingback: Quantenphysik und Hoffnung – Horus W. Odenthal 2 « re>flex

  2. Sehr interessantes Interview und Ninragon finde ich auch klasse. Der Name ist allerdings wegen der Nähe zu Eragon was unglücklich gewählt, Ninragon ist doch eindeutig auf erwachsene Leser zugeschnitten, auch ungleich düsterer, brutaler und sehr viel anspruchsvoller. Eher etwas für den Fantasy-Veteranen.

    Ich hoffe, im zweiten Teil des Interviews kommt noch was zu Hyperdrive? Da gibts jetzt ’nen 1. Band bei amazon, habe ich gerade gesehen.

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