Das Museum der guten Erinnerungen

Neben der Bühne hing immer noch der alte Efeu an der Backsteinmauer und während Al Jarreau loslegte, schlurchte die Sonne ein bißchen länger über Nürnberg. Vermutlich ist man ein großer Musiker, wenn dieser glühende Cent stoisch gen Westen rollt und für ein paar Songs stehen bleibt.

„Hallo, guten Abend: Wie geht’s?“ Fragte der 72-jährige Sänger das applaudierende Publikum zu Beginn, um dann nach dem Intro anzukündigen: „I’ll give you the big stuff now“. Ich kam zu dieser Musik durch meine Ma. Als ich vielleicht 19 wurde, schenkte sie mir „Al Jarreau – The Collection“ zum Geburtstag: Eine wahnsinnige Scheibe, die mich seitdem begleitet.
Die übrigen Zuhörer wurden vermutlich schon länger begleitet. Die jungen Reflex-Redakteure konnten den Altersschnitt nur unwesentlich senken. Der Serenadenhof war einigermaßen voll, hauptsächlich von 40-jährigen aufwärts: Ehepaare, die sich im Arm hielten, offensichtlich pendelnd zwischen Realität und guten Erinnerungen. Das Konzert war beinahe ein unsichtbares Museum der guten Erinnerungen. Man konnte das spüren. So viele gute Erinnerungen machen ein gutes Gefühl. Und Al Jarreau spielte eine grandiose Show in den warmen Sommerabend.

Man hockte in Shorts und Shirt auf den grünen Plastikstühlen und genoss diesen Auftritt, in dem sich viel vermischte. Ein Kerl, der älter als mein Opa ist, hüpfte strahlend über die Bühne, packte immer neue Facetten seiner ultimativen Stimme aus, machte sogar aus Lachen = Musik und feuerte eigentlich ununterbrochen gute Schwingungen. Die Message sollte unbedingt positiv sein, was zumindest in englischer Sprache klar geht: Man sollte manchmal nur lieber nicht beginnen, die Lyrics zu übersetzen. Nur zuhören und nicht nachdenken.
Und es ist unglaublich, was der alte Al noch alles drauf hat: Die signifikante Imitation von Instrumenten via Gesang, die Storys, die er zwischen den Songs lustig erzählte und mit einem „how you like me now?“ abschloss, das bescheidene Selbstbewusstsein und der große Spaß am Performen, der von der ganzen Band geteilt wird.
Ein Detail: Ein Barhocker stand etwas besorgt während des kompletten Konzerts auf der Bühne. Er war für Al Jarreau gedacht, aber der nette Herr im dunklen Anzug wollte sich nicht setzen. Immerhin gab es hübsche Lichtreflexe auf dem Lederbezug: orange, blau, grün, rot.

Immer wieder mokierte er sich über den schwindenden Zusammenhalt der Menschen im Web-Zeitalter: „we became to dot com…“ Man hört auf, sich gegenseitig zu helfen: junge Künstler müssen es alleine schaffen.
Aber für seine Musiker wirkte er wie ein Lehrer, immer wieder forderte er sie auf und feierte dann lächelnd ihre Soli. Er wollte einfach was weitergeben.

Gleichzeitig saßen Frauen im Publikum, die das ganze Konzert mit ihren Digitalkameras aufnahmen und permanent auf den kleinen Display schauten (man fragt sich dabei, ob diese Videos jemals wieder abgespielt werden).

In großer Überspitzung seiner Gesten agierte der Sänger zeitweise wie eine Comicfigur: Eine smoothe, kluge Eidechse, der Soul und Jazz durch den Körper fließt. „This is supposed to be fun, don’t get to serious about it“, sagte er grinsend und tanzte weiter. Es gibt wenige Leute, die so viel bewirken können, wenn sie nur ihre Schultern fallen lassen und ins Publikum zwinkern. Logischerweise bekam er minutenlang Ovationen und begeisterten Applaus.

Ich denke, dieser Abend wird in unserem Museum der guten Erinnerungen ausgestellt…

Text: Joshua Groß
Bilder: Manuel Weißhaar

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