Ah, le temps de l’amour…

Es wird ja, seit der Cannes-Premiere von „Moonrise Kingdom“, wieder viel geredet in diesen Tagen; darüber, dass sie ja alle ein wenig gleich seien, die Filme von Wes Anderson, dem, neben Jim Jarmusch, größten Darling der US-Independentfilm-Boheme. Warum? Weil der Vergleich mit den vorherigen Werken eines Regisseurs eben ein dankbarer Ansatz ist, um sich dem neuen Werk zu nähern. Und weil ein eigenwilliger Regisseur wie Anderson seine Filme gerne in eine ganz- und gar unwirkliche, bonbonfarbene Optik taucht, sie mit allerlei verschrobenen Charakteren anreichert, einen zumeist seltsam erscheinenden Humor pflegt und für seine verqueren Geschichten gerne auf das gleiche Schauspielensemble zurückgreift. Also häufen sie sich, die Klagen, Anderson sei ja nur ein One-Trick-Pony, ein M. Night Shyamalan des Independentfilms – und dann kann es auch schon mal vorkommen, dass man vor lauter Unmut, hier vermeintlich etwas zu sehen zu bekommen, was man so ähnlich eigentlich schon kennt, dazu neigt, einen der schönsten und berührendsten Filme des Jahres mit einem „Naja, Wes Anderson halt“ beiseite zu wischen.

Das ist selbstverständlich überaus dumm. Denn Anderson ist, anders als jenen Regisseuren, die mit jedem Film einen Genre-Wechsel vollziehen, nicht unbedingt daran gelegen, welche Geschichte er erzählt, sondern vielmehr daran, wie er sie erzählt und steht damit eher in der Tradition eines David Lynch, als in der eines Spielberg oder Tarantino – und ähnlich wie Lynch sind seine Filme, je nach Qualität des jeweiligen Sujets, mal sehr („Rushmore“) und mal nicht ganz so sehr („Die Tiefseetaucher“) gelungen. „Moonrise Kingdom“, schon in den ersten Sekunden sofort als Anderson-Film identifizierbar, tendiert nun ganz klar zu Ersterem.

Der Junge ist weg: Scout Master Ward (Edward Norton) und seine Pfadfinder sind fassungslos

Man befindet sich im Sommer 1965 auf einer Insel in Neuengland. Neben einer Handvoll schrulliger Inselbewohner, die dauerhaft auf dem pittoresken Eiland leben, hat eine Gruppe von Pfadfindern hier ihr Sommerlager aufgeschlagen – dort läuft alles nach der vom pedantischen Scout Master Ward (Edward Norton) erwünschten Disziplin und Ordnung, ehe bemerkt wird, dass der zwölfjährige Außenseiter Sam (Jared Gilman) desertiert und offenbar mit Suzy (Kara Hayward), der leicht depressiven Tochter der ortsansässigen Familie Bishop, durchgebrannt ist. Und während sich nun sämtliche Pfadfinder, Eltern, Polizisten und das Jugendamt an ihre Fersen heften und sich zu allem Überfluss auch noch ein Jahrhundertsturm über der Insel zusammenbraut, beginnen Sam und Suzy samt Katze, Fantasybüchern und Plattenspieler eine Odyssee der Liebenden quer durch die Wildnis, auf der Suche nach einem Ort, den die Ureinwohner einst Moonrise Kingdom getauft hatten.

In die Wildnis: Sam und Suzy beim Planen der Fluchtroute

Und wie es von Wes Anderson nicht anders zu erwarten ist, garniert er diese an die Nouvelle Vague und die Werke Godards angelehnte Coming of Age-Story nicht nur mit einem Heer bestens aufgelegter prominenter Nebendarsteller (u.a. die obligatorischen Bill Murray und Jason Schwartzmann, zudem Bruce Willis, Frances McDormand, Harvey Keitel und Tilda Swinton) sondern auch mit einer Detailfülle, die so überbordend ist, dass sie den Zuschauer mitunter zu überfordern droht. Jedes Bild, jede Einstellung ist exakt und in geometrischer Strenge durchkomponiert, dazu kommt die bunte, gewohnt irgendwo zwischen surreal und märchenhaft schwankende Optik und ein perfekter Soundtrack der abwechslungreich klassische Klänge mit Country und Sixties-Pop mischt – nun wusste Anderson auf audiovisueller Ebene ohnehin schon immer zu überzeugen, aber „Moonrise Kingdom“ gelingt es vielleicht besser wie all seinen Vorgängern diese inszenatorischen Extravaganzen mit einer emotionalen und anrührenden Geschichte zu verbinden.

Ungehalten: Suzys Eltern (Bill Murray und Frances McDormand), Scout Master Ward und Sheriff Sharp (Bruce Willis)

Das liegt vor allem daran, dass Anderson seine Figuren wirklich ernst nimmt und sie nicht nur ihrer Skurrilität wegen in die Handlung einflechtet, weshalb auch die gesamte edle Darstellerriege letztlich hinter Sam und Suzy und ihrer Liebesgeschichte zurücktreten muss – die wird dafür mit entwaffnender Ehrlichkeit und ohne falsches Pathos erzählt und die Aufrichtigkeit, mit der die beiden das Ideal unbedingter Liebe, gefiltert durch die Augen zweier Zwölfjähriger, mit aller Konsequenz durchziehen, führt zu zahlreichen denkwürdigen Szenen; etwa jene, in der die beiden den unschön zu Tode gekommenen Hund des Pfadfindercamps betrauern:

Suzy: „War er ein guter Hund?“

Sam: „Wer kann das jetzt noch sagen?

Die Dialoge sind mitunter von einer so lakonischen Größe, dass man meinen könnte, Richard Brautigan hätte das Drehbuch geschrieben – aber zu keinem Moment so altklug, als dass man sie den Protagonisten aufgrund ihres Alters nicht abnehmen könnte, und genau darin liegt das große Kunststück dieses Films.

So ist „Moonrise Kingdom“ am Ende Wes Andersons bester Film geworden, für den im Besonderen gilt, was ja auch für die anderen Werke des Regissseurs, wenn auch nicht in so starkem Maße wie hier, schon gegolten hat: Sie werden vielleicht nicht laut lachen, während dieses Films, aber sie werden unentwegt lächeln, auch dann noch wenn Sie das Kino verlassen haben.

 

Manuel Weißhaar & Joshua Groß

 

Moonrise Kingdom“, zu sehen im Manhattan Kino Erlangen, tägl. 18.30 Uhr, 20.30 Uhr

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.