Intro a*
Intro b**
Der Comic Hemingway von Jason spielt im Quartier Latin der zwanziger Jahre. Der norwegische Autor wird morgen 47 Jahre alt. In seiner Erzählung versammeln sich Ernest Hemingway (alles andere könnte nur ein hoher Grad an Wahnwitz erklären), Ezra Pound, F. Scott Fitzgerald mit Ehefrau Zelda, James Joyce, Gertrude Stein und der mysteriöse Jean Paul.
Die Prämisse: Jede Literatur ist nicht die Literatur, die wir kennen. Oder: Jede Literatur ist Comic. Folgerichtig sind die großen Köpfe des 20. Jahrhunderts leidenschaftliche Comic-Zeichner mit lähmenden Geldsorgen. Was sagt der Comic-Hemingway über den Comic-Dostojewski? „Er ist wirklich kein schlechter Zeichner. Aber seine Figuren sehen alle gleich aus. Er hat nur dieses eine Gesicht drauf. Und dann die ganzen russischen Namen, ich kann mir nie merken, wer jetzt wer ist.“
Stilistisch sind Jason’s Gestalten lethargische und melancholische Hunde. Sie haben keine Pupillen, ihre Augen sind weiße Kreise. Man unterscheidet sie hauptsächlich durch die Kleidung. Sie wirken ein bisschen deplatziert, ein bisschen verloren. So gesehen kommt das der lost generation schon nah.
Wenn man Midnight Paris von Woody Allen gesehen hat (dessen Qualität leider nur wenige verstehen), wird man sich beim Lesen immer wieder daran erinnern. Gertrude Stein sitzt als wachende, mahnende Instanz in ihrem Sessel. Die Fitzgeralds haben ständig Eheprobleme. Hemingway erzählt vom Stierkampf und alpträumt vom Krieg. Die Künstler überlegen sich, warum sie überhaupt Comic-Zeichner wurden. James Joyce: „Ich kann zeichnen und Geschichten in kleinen Kästchen erzählen und mir jeden Tag die Augen ein bißchen mehr verderben.“
Hemingway, der in diesem Buch wirklich cool ist, beschließt beim Boxkampf die Kasse zu plündern. Die anderen Jungs sind natürlich dabei. Dann beginnt die Ganoven-Story, die sich in klassischer Reservoir Dogs-Manier auflöst. Der Grund: Die Femme Fatale paktiert mit einem seltsamen Hund, von dem man nur weiß, dass er Jean Paul heißt und einen „großen Schwanz“ hat (seine Aussage).
Wir finden alles, was ein lässiger B-Movie braucht: Intrige, Diebstahl, Mord, das todsichere Ding, das Ende aller Sorgen, etc. Leider ist die Geschichte sehr monoton, ich würde einen ausgefeilteren Spannungsbogen bevorzugen. Dabei ist Hemingway sehr anspruchsvoll gezeichnet und überzeugt durch seinen eigenen Charme.
Immer wieder spielt Jason mit der Interaktion von Inhalt und Form. Er greift in der Struktur den eigenen Inhalt auf, selbstironisch und gekonnt. Neben ständigen Referenzen sind die historischen Figuren klar porträtiert. Trotzdem entsteht aus der Konstellation eine fiktive Handlung, die selbstständig funktioniert.
Ein empfehlenswertes Buch, das 2011 im großartigen Reprodukt Verlag veröffentlicht wurde.
Hemingway von Jason, 48 Seiten, Klappenbroschur, 13 Euro
(Leseproben befinden sich auf der Homepage)
Joshua Groß
*Am 25. Mai 1964 veröffentlichte der große Hunter S. Thompson eine Reportage im National Observer, in der er über Hemingway’s Tod sinnierte. Hemingway hatte sich 1961 in Ketchum, Idaho umgebracht. Es gibt mehrere wichtige Passagen in dieser Reportage, aber eine ist besonders prägnant: „Hemingway unternahm keine derartige Anstrengung. Die Kraft seiner Jugend wurde mit zunehmendem Alter zur Starrheit, und sein letztes Buch beschäftigte sich mit dem Paris der zwanziger Jahre.“
**Hemingway lebte von 1921 bis 1928 hauptsächlich in Paris. Sein Durchbruch gelang ihm mit Fiesta, erschienen 1927. Dem Buch vorangestellt ist ein Zitat von Gertrude Stein: Ein Satz, den sie scheinbar in einer Unterhaltung sagte: „Ihr gehört alle einer verlorenen Generation an.“