Slam-Opi vs. FAU-Hüpfer

Etwas völlig Neuem und bisher nie Dagewesenem durften am 03.05.2012 im Nürnberger Studentenhaus die Zuschauer des Poetry Slams beiwohnen. Beim zweiten von der Stuve organisierten Kampf der Sprachkünstler traten nicht verschiedene Teams gegeneinander an, sondern der erfahrene Slammer Michael Jakob gegen fünf Herausforderer. DJ Kosh heizte den Studenten ab Einlass um 19:30 Uhr gewaltig ein, bis die Veranstaltung um 20 Uhr mit dem Motto „5 gegen Michl“ startete.

Drei einfache Regeln waren zu beachten: Selbstverfasste Texte sollten ohne Requisiten innerhalb eines siebenminütigen Zeitlimits vorgetragen werden. Im Anschluss an jede der fünf Runden konnten die Zuschauer durch Applaus für Herausforderer oder alteingesessenen Jakob über den Sieg entscheiden, der neben einer Flasche Sekt noch zusätzliche 25 Euro einbrachte.

Die souveräne Moderatorin Susanne Rudloff, alias „Frau Wortwahl“, die sich selbst auch schon einen Namen in der Slammerszene machen konnte, führte gekonnt durch den Abend. Zur Einstimmung trug sie zwei sogenannte „Opfertexte“ vor, die ihrerseits würdige Gegner für Michael gewesen wären. Clara Nielsen trat im Rahmen des eigentlichen verbalen Kampfes als erste auf die Bühne und stichelte ihren Gegner zunächst mit zwei kurzen Einzeilern, die ihr bereits großen Respekt vom Publikum einbrachten. Kurz darauf ärgerte sie sich in einem Prosatext auf humorvolle und charmante Art und Weise über verpasste Chancen im Leben, zum Beispiel den Abgabetermin für den gelben Sack oder die Tatsache, dass das Rad leider schon erfunden sei. Dagegen kam der Slam-Meister mit seinem Prosatext „Onanieren für die Unsterblichkeit“ leider nicht an, obwohl der Großteil der Zuschauer zusehends Mühe hatte, sich vor Lachen noch auf dem Stuhl zu halten.

Gestärkt vom 1:0 für die FAU-Nachwuchsslammer trat Lucas Fassnacht auf die Bühne, der, passend zum Frühling, „das Leben pflücken“ wollte. Michael jedoch traf mit seinem „offenen Brief an alle Lehrerinnen und Lehrer [s]eines Lebens“ genau die richtige Stimmung des Publikums, indem er ruhigere, nachdenklichere Töne anschlug. Wortgewaltig prangerte er an, auf welche Schwierigkeiten im Leben die Schule ihre Schützlinge nicht vorbereite und wie diese mit Schicksalsschlägen alleingelassen würden. Michl also war nach Runde 2 wieder im Rennen. Leichter wurde das verbale Gefecht aber nicht, was allein schon das Erscheinungsbild von „Eni 42“ erahnen ließ, der mit Garfield-T-Shirt, Brille und zerzausten Locken auf die Bühne trat. Der quirlige FAU-ler bewies Mut, als er eine abgewandelte Version des „Erlkönigs“ vortrug, in dem ein Pfarrer auf einem Kind reitet. Seine Art des Anprangerns von Missbrauchsfällen in der Katholischen Kirche mithilfe schwarzen Humors kam jedoch nicht so gut an. Mit seiner ebenfalls in der Theologie verorteten Feststellung „Michael Jakob ist Jesus“, konnte der sympathische Franke erneut mehr Applaus für sich einheimsen als sein Kontrahent und bekam die zweite Flasche Sekt überreicht.

Das Blatt wendete sich im vierten Durchgang. „Team ADS“, bestehend aus zwei Studenten, die temporeich und abwechselnd Aussagen zu ihrem Nerd-Dasein machten, sich dafür aber keineswegs schämten, steckten trotz kleiner Textunsicherheiten Michael, der seinen ersten Slamtext vorgetragen hatte, locker in die Tasche. Mit einem spannenden 2:2 ging es nun in die letzte, alles entscheidende Wörterschlacht zwischen Slam-Opi Jakob und dem jungen Thomas Forstner. Er, der mit Mimik, Gestik, Stimme und Lyrik à la „Tja, so ist das Leben eben, darf ich mich mal bitte übergeben?“ überzeugte, hatte es nicht leicht gegen seinen erfahreneren Gegner, der bisher nicht nur über 100 gewonnene Slams verbuchen konnte, sondern dem auch Kabarett und Theater nicht fremd sind.

Mit einem Schrei war alle Aufmerksamkeit sofort bei Jakob. Mal leise, mal laut, mal gefühlvoll, mal grausam direkt, lieferte er mit seiner finalen Darbietung einen Auftritt, der den meisten Anwesenden sicher noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Michael Jakob machte auf Missstände in der Welt, hervorgerufen durch korrupte Politiker und Manager sowie die damit verbundene schmerzliche Verzweiflung aufmerksam. Schreiend und sich auf den Boden werfend, ließ er seine Wut über die herrschenden Zustände ungehemmt heraus, bewies schauspielerisches Talent und traf damit nicht nur die richtigen Worte, sondern seine Zuschauer auch mitten ins Herz. Nach dieser emotionalen Performance fiel es sogar der Moderatorin Rudloff schwer, wieder zur Tagesordnung überzugehen, Ergriffenheit und Sprachlosigkeit waren geradezu greifbar.

Nun galt es aber, einen Sieger zu ermitteln. Der Applaus für Forstner und Jakob im direkten Vergleich brachte keine endgültige Entscheidung, ebenso wenig wie das anschließende kurze Sturmjubeln, bei dem für den Sieger nicht nur geklatscht, sondern auch geschrien und gestampft werden konnte. Clara Nielsen, Lucas Fassnacht, „Eni 42“, „Team ADS“ und Thomas Forstner hatten nun gemeinsam die Aufgabe, mit einem spontanen 4-Zeiler den Sieg für die Gruppe der FAU-Studenten zu erringen. Nach kurzer Bedenkzeit kam lediglich ein 2-Zeiler heraus. Michael Jakob dagegen erschwerte sich seine Aufgabe noch zusätzlich, indem er vom Publikum nach zwei Worten verlangte. „Schwertfischhoden“ und das Adjektiv „alt“, das Jakob an diesem Abend bereits von „Frau Wortwahl“ oft genug in Verbindung mit seiner eigenen Person gehört hatte, sollten nun verwertet werden. Die vier-versige Spontanlyrik, die davon handelte, wie Michael eines Tages auf dem Dachboden besagte Hoden entdeckte und sich daraufhin ungläubig und kopfschüttelnd eine größere Menge Schnaps genehmigte, brachten ihn schließlich als eindeutigen Gewinner des Abends hervor.

Als sehr unterhaltsam und mehr als lohnenswert wird mir dieser Poetry Slam im Gedächtnis bleiben. Alle Teilnehmer verdienen Anerkennung für den Mut, ihre Texte auf einer Bühne präsentiert zu haben und Lob für die Qualität ihrer Arbeit. Außerdem habe ich noch eine Erkenntnis mit nach Hause genommen: Michael Jakob ist ein Weltverbesserer. Er hat die Gewalt von Sprache erkannt und nutzt sie einmal, um den Zuhörern mit leichtfüßigem Humor Freude zu bereiten oder ein anderes Mal, um sie mit schwerwiegenden Wahrheiten zu erschüttern. Doch tut er dies, das tritt in seinen Texten deutlich hervor, nicht des Ruhmes wegen, sondern um etwas zum Positiven zu verändern und sei es, wenn er die Menschen nur zum Nachdenken bringt. Deshalb war es auch nicht unerwartet, dass er das erspielte Geld nicht für sich selbst behielt, sondern der Deutschen Krebshilfe zukommen ließ. Fazit: hörens- und sehenswerter, verdienter Gewinner, eine Bereicherung, gerne immer wieder!

Christina Tittus

Poetry Slam der Stuve
Studentenhaus Nürnberg
03.05.2012 20:00 

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