Breath in, breath out – „Eine choreografierte Atemperformance“


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Foto: Thomas Lange

Den Atem zu spüren. Dazu wird man bei „Breathless“ aufgefordert, während man auf Luftmatten hin und her wabbelt. Ein wenig komisch findet man diese Anweisung schon. Wann, und vor allem wie spürt man schon den Atem? Der läuft doch von alleine! Normalerweise hat man ja keine Zeit für einen solchen Humbug. Eigentlich haben wir nie Zeit für solche Dinge. die kleinen Dinge, die bewussten Dinge. Sie gehen unter im Stress unseres Alltages, sind nicht effizient genug, um uns voran zu bringen.

Wir vernachlässigen sie und vergessen sie letztendlich.

Der ganze Bühnenaufbau, ein komplett mit Luftmatten ausgekleideter Raum, erinnert an eine Irrenanstalt. Die Frage ist nur, wer ist hier verrückt? Die Tänzer? Mit der Zeit wird einem bewusst, dass wir uns selbst in ihrem Tun widerspiegeln. Die Verrückten, das sind wir.

Den Atem zu spüren, ist bei „Breathless“ ein Symbol dafür, uns selbst zu spüren. Der Atemzug wird zu unseren Empfindungen und Handlungen, bei dessen reflektierter Beobachtung uns endlich mal bewusst wird, was so alles schief läuft und was wir links liegen lassen. Die Absicht des Stückes ist es, uns selbst zu analysieren!

Wir nehmen uns kaum mehr Zeit, Dinge genau zu betrachten. Was uns wichtig ist, sind Handlungen, die uns weiterbringen, die Geld bringen. Ordnung, Effizienz und Kontrolle sind unsere wichtigsten Ziele geworden. Alles wird geplant, nichts läuft spontan und vor allem geht nichts schief (und wenn, dann sind wir vor dem Nervenzusammenbruch). Genießen wird zur Nebensache, denn auch unsere Freizeit muss geplant werden: Nichts zu machen ist ein No-Go!

Dass wir dabei uns selbst verlieren und unsere Beziehungen zu anderen nicht mehr funktionieren, erkennen wir erst zu spät.

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Foto: Thomas Lange

Der Zwang, alles machen zu müssen und alles gut zu können, nicht scheitern zu dürfen, ist eines der großen Probleme unserer derzeitigen Gesellschaft, wie die Choreographin und Regisseurin Beate Höhn der Kompanie co>labs zeigen. Die Burnout-Rate steigt, Erwachsenen- und selbst Kinderdepressionen nehmen zu: Ein stetiges Gefühl der Überforderung wird zur Grundstimmung. Weil wir uns nur noch auf unsere Erfolge konzentrieren und nur noch auf Bewegungs- und Beziehungsmuster fixiert sind, verlernen wir wichtige Handlungen, die uns definieren und dessen Ausfall uns in die Hilflosigkeit führen. Dabei gehört Scheitern zu unserem Leben, so sammeln wir Erfahrungen, so erkennen wir, was richtig und falsch ist.

Dies zeigt „breathless“: Wir machen alles gleichzeitig und nie ganz, verlernen, etwas mit Hingabe zu erledigen und vergessen so, zu erkennen, was uns Freude bereitet und uns ausmacht. Weil wir alles, was uns vom Erfolg „abhält“ von uns schieben, vernachlässigen wir das Zwischenmenschliche. Wir wissen nicht mehr, wie man mit anderen Menschen umgeht, wie man Gefühle äußert, und nicht verbirgt. Wir wissen nicht mehr mit Berührungen umzugehen.

Beziehungen zu anderen sind eigentlich existenziell für uns, und doch weichen wir immer mehr davor zurück. Dabei vergisst man, dass man sich über andere identifiziert. Sich selbst zu erkennen ist immer eine Diskussion mit dem anderen und aus unaufhörlichen Versuchen. Die Wahrnehmung, was uns verbindet und uns unterscheidet, beschreibt uns. Nehmen wir den anderen nicht mehr wahr, sehen wir uns selbst nicht mehr.

Im Stück gelingt es gut, diese Konflikte über den Körper zu beschreiben. Man wird gezwungen ihn wahrzunehmen, ihn zu studieren und dabei von einer rein körperlichen Auseinandersetzung zur geistigen zu gelangen. Die Bewegungen sind allgemein verständlich und nachvollziehbar, es wird eine natürliche, aber dennoch äußerst kunstvolle Bewegungsart gezeigt, die uns in ihren Unterbrechungen, in der schwankenden Dynamik, in ihrem Übergang von der Vorsichtigkeit zum Gefestigtem, das symbolisch vor Augen führt, was wir gerade tun und was wir tun sollten. Mit dem Tanz gelingt es uns das erfahren zu lassen, was wir uns sonst nur theoretisch zum Ziel setzen und dann nicht umsetzen können: Den Weg zur inneren Ruhe.

Diesen Weg initiiert das Stück vor allem durch Brechungen: Mit Tanz der zwischen absolut ästhetisch und fast schon Gewalttätigkeit steht. Mit Musik, die schön und oft auch überfordernd ist. Mit einem Bühnenbild, das zwischen Faszination und Irritation schwankt. Und mit Figuren, die zugleich normal und völlig daneben sind. Am Ende steht das Hinterfragen, dass nicht ohne ein gewisses Augenzwinkern erfolgt: Der Werte unserer Gesellschaft, der Personen im Umfeld und letztlich des eigenen Selbst.

Die wichtigste Aussage ist wohl, sich selbst und unsere Vorstellungen zum Thema Leistung nicht ganz so ernst zu nehmen.

Johanna Stuber

Weitere Aufführungen: 26. April 2012 10:30 Uhr + 27. April 2012 19:30 Uhr

CO>LABS – Breathless
Künstlerhaus/Festsaal
Königstraße 93
90402 Nürnberg

Weitere Informationen hier.

Choreografie/Regie: Beate Höhn – Idee: Arne Forke – Tanz: Eva Baumann / Janine Joyner / Steven Ron Barrett / Ivo Bärtsch – Bühne: Peter Wendl – Dramaturgie: Anke Euler – Assistenz: Johanna Stuber – Technik: Team Künstlerhaus – Technische Leitung und Licht: Sasa Batnozic – Kostüm: André Schreiber

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